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Version vom 17. November 2014, 23:17 Uhr
Inhaltsverzeichnis
Looking for YU
Von der politischen Landkarte verschwand die Sozialistische Föderative Republik Jugoslawien vor knapp 25 Jahren. Die kulturelle Topografie und das Zeichensystem einer gemeinsamen Identität dieses Vielvölkerstaates hingegen, die sich seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs herausgebildet hatten, blieben bis heute bestehen. Immer noch finden sich in den jugoslawischen Nachfolgestaaten zahlreiche Denkmäler, Museen und andere Räume, an denen durch die Erinnerung an Ereignisse und Persönlichkeiten das gesellschaftliche Gedächtnis konstruiert wurde.
Mit Themen zur Rekonstruktion der gemeinsamen jugoslawischen Geschichte und Kultur beschäftigen wir uns während des Frühlingssemesters 2014 an der Universität Basel im Rahmen der Übung «Looking for YU». Anschliessend an die Lehrveranstaltung fand im Juni 2014 die gleichnamige Studienreise des Fachbereichs Osteuropa der Universität Basel statt, die uns nach Kroatien, Serbien und Bosnien-Herzegowina führte. Ein Teil der Eindrücke und Resultate dieser Zeitreise und Spurensuche nach (post)jugoslawischen Erinnerungsorten sind in dieser Datenbank zusammengetragen.
Zagreb
Zu Beginn unserer Reise besuchten wie die kroatische Hauptstadt Zagreb. Im Museum der Stadt Zagreb hatten wir eine Führung mit dem Schwerpunkt auf die Geschichte Zagrebs im 20. Jahrhundert. Anschliessend begaben wir uns auf einen Stadtrundgang durch die Innenstadt: Anhand der wechselnden Benennungen des Ban-Jelačić-Platzes, des Platzes der kroatischen Helden, des Platzes der Faschismusopfer, der Andrija-Hebrang-Strasse, des Franklin-Roosevelt- und Marschall-Tito-Platzes versuchten wir die wechselvolle Geschichte und die vielfachen Deutungen dieser Orte im Laufe des 20. Jahrhunderts nachzuvollziehen. Ein Ausflug in das Dorf Kumrovec im kroatischen Zagorje brachte uns – unter fachkundiger Führung des Historikers Tvrtko Jakovina – die Bedeutung des Geburtshauses des langjährigen jugoslawischen Staatspräsidenten Josip Broz Tito als Erinnerungsort näher. Auf der Burgruine Medvedgrad, wo der «Altar der Heimat» steht, und auf dem Friedhof Mirogoj beschäftigten wir uns mit der Inszenierung kroatischer Identität unter der Präsidentschaft von Franjo Tuđman im Kroatien der 1990er Jahre. Im Park Dotrščina wurden wir vom Aktivisten Saša Šimpraga durch eine Gedenkstätte an die Opfer des Ustascha-Terrors im Zweiten Weltkrieg geführt, die, nachdem sie in den 1990er Jahren beinahe in Vergessenheit geriet, heute neu belebt werden soll. Auf der Durchreise von der kroatischen in die serbische Hauptstadt besuchten wir weitere repräsentative Orte der sozialistischen Denkmalarchitektur wie z. B. das Denkmal der Revolution von Dušan Džamonja im moslawinischen Podgarić sowie die Gedenkstätte beim ehemaligen Ustascha-Konzentrationslager im slawonischen Jasenovac.
Belgrad
In Belgrad, dem einstigen politisches Zentrum des Vielvölkerstaates Jugoslawien, besuchten wir das Kuća cveća - Titos Grabstätte ist heute ein Museum und einer der Orte, die an die sozialistische Vergangenheit erinnert. Im Muzej istorije Jugoslavije widmeten wir uns dem Personenkult um Tito und seinen medialen Repräsentationen. An der Universität Belgrad und auf einem Spaziergang über den Festungshügel Kalemegda erläuterte uns der Soziologe Todor Kuljić seine Überlegungen zur Erinnerungskultur im postjugoslawischen Raum. Im Haus der Jugend ergab sich mit dem Filmemacher Želimir Žilnik ein interessantes Gespräch über die Rolle des jugoslawischen Films als identitätsstiftenden Faktor. Ebenfalls besuchten wir den Jüdischen Friedhof in Belgrad, wo der Architekt Bogdan Bogdanović ein Denkmal für die jüdischen Opfer des Faschismus errichtet hatte. Auf einer Fahrradtour durch die Satellitenstadt Novi Beograd besichtigten wir das Gelände des ehemaligen Konzentrationslagers Staro sajmište sowie eine Reihe architektonischer Anschauungsbeispiele und Zeugen der jugoslawischen sozialistischen Moderne wie das Hotel Jugoslavija, den Ušće-Turm, das Gebäude des Bundesexekutivrates, ehemals Sitz der jugoslawischen Regierung, sowie die Studentenstadt.
Sarajevo
Unterwegs nach Sarajevo legten wir einen Zwischenhalt in Višegrad ein, wo das (damals) noch unvollendete Bauprojekt Kamengrad des Regisseurs Emir Kusturica eine eigenwillige Interpretation der Geschichte dieser Gegend darstellt. Ein Stadtrundgang durch Bosniens Hauptstadt belebte die Erinnerung an die Multikulturalität dieses Ortes. In einem Workshop zeigte uns der Schriftsteller Nenad Veličković auf, wie die nationalistische Politik im gegenwärtigen Bosnien die Gesellschaft vor allem im Bereich der Bildung auseinanderdividiert. Wie an die Belagerung der Stadt zwischen 1992 und 1995 erinnert wird, zeigte uns u. a. das Tunnel-Museum. Die Reise nach Jablanica brachte uns zu einem wichtigen Originalschauplatz des Zweiten Weltkriegs - Die Schlacht an der Neretva interessierte uns als eine der bedeutendsten Offensiven des Partisanenkampf, insbesondere in ihrer musealen und filmischen Darstellung. Auf der Suche nach YU-Spuren fuhren wir weiter zum Gründungsort des zweiten Jugoslawiens: In der zentralbosnische Kleinstadt Jajce legte die zweite Sitzung des Antifaschistischen Volksbefreiungsrates im November 1943 das Fundament für das sozialistische Jugoslawien. Als Bindeglied zwischen dem Zweiten Weltkrieg und der jugoslawischen Filmindustrie diente uns in Sarajevo die Figur des Valter. Abgerundet wurde unser Aufenthalt in Sarajevo durch ein Gespräch mit dem Filmwissenschaftler Nebojša Jovanović über den jugoslawischen Partisanenfilm sowie über den Postjugoslawischen Film.
Looking back to YU
Während der Studienreise hatten wir die Möglichkeit unsere aus der Lektüre gewonnen Erkenntnisse in zahlreichen Gesprächen in Frage zu stellen, sie zu vertiefen und eine Vielzahl an neuen Eindrücken zu gewinnen. Nachträglich bleibt die Erkenntnis, wie stark sowohl die jugoslawische als auch die postjugoslawischen Gesellschaften von Geschichte – besser gesagt: durch die Verklärung eines scheinbar festgefügten Narrativs und die Tabuisierung vieler Widersprüche – geprägt waren und sind und welchen Einfluss diese oft völlig konträren Geschichtsbilder auf den Wandel der Topographien von Städten und Landschaften, aber auch auf den Alltag der Menschen entfalten. Dieser Prozess erscheint im europäischen Vergleich keineswegs als ein singuläres Phänomen, doch werfen seine spezifischen Auswirkungen ein erhellendes Bild auf Geschichte und Gegenwart dieser eigentümlichen Region.
Im Verlaufe des Herbstsemesters 2014 haben wir eine studentische Schreibwerkstatt gegründet, mit dem Ziel nur einen Teil unserer wertvollen Erkenntnisse und Eindrücke auch schriftlich und visuell zu dokumentieren. Sie bot eine Möglichkeit nicht nur das erarbeitete Wissen weiter zu vertiefen, sondern die erlernten Inhalte auch in einer spezifischen, auf mögliche Leserinnen und Leser ausgerichteten Form zu vermitteln. Dafür galt es sich zu organisieren, technisches Know-How zu vermitteln, und gemeinsame Redaktionsrichtlinien zu erarbeiten. In der vorliegenden Wiki-Datenbank haben die Studierenden in langer akribischer Schreib- und Redaktionsarbeit während Wochen und Monaten Texte zusammengetragen, die über die prägenden Schauplätze und Figuren unserer Studienreise berichten. Entstanden ist eine heterogene Sammlung kollaborativer studentischer Arbeit, die ihre Lücken und Mängel aufweist, sich aber als Gesamtwerk durchaus sehen lassen kann und zum Erkunden einlädt.