Post-jugoslawischer Film

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Text: VW

Der Zerfall Jugoslawiens brachte eine neue Filmströmung in die Lichtspieltheater. Wiederkehrende Sujets waren die Auflösungskriege der 1990er Jahre und teilweise nostalgische Rückblicke in die Zeit Jugoslawiens. Mit den gesellschaftlichen Veränderungen nach der Jahrtausendwende, sucht eine neue Filmströmung nach einer progressiven Filmsprache, fern von ihren Vorgängern aus der jugoslawischen oder unmittelbaren post-jugoslawischen Zeit.[1]

Self-Balkanisation cinema

Mit dem Ende Jugoslawiens trat ein nationalisiertes Kino in Erscheinung, welches von den zum Teil aggressiven Nationalstaatenbildungsprozessen durchdrungen war. Es galt auch mit Hilfe des Films, das Projekt eines ethnischen Nationalstaates zu formen. Zugleich wurde in den Filmen auch an den vergangenen multiethnischen Staat Jugoslawien erinnert. Ein Beispiel für dieses scheinbar unvereinbare Erinnern liefert der Film Underground. Es war einmal ein Land (Podzemlje, 1995, R: Emir Kusturica) in dem sowohl an die jugoslawische Zeit und deren Symbolik, als auch an die nationalisierte Auflösungszeit erinnert wird. Diese Werke zeigten Stereotypen, ob fremd- oder eigenbestimmt. Im Besonderen wurde auf die Andersartigkeit des Balkanraumes aufmerksam gemacht und latent vorhandene Schablonen in «West-» Europa bekräftigt. Diese Schemen wurden nicht etwa kritisch hinterfragt, sondern im entschiedenen Masse unterstrichen. Es waren Filme, die an internationalen Festivals Preise[2] gewinnen konnten und im «westlichen arthouse-Kino» gezeigt wurden.[3] All diesen Filmen gemein ist das Erinnern der kriegerischen 1990er Jahre und diese Zeit wird oftmals als ein alltäglicher Gewaltraum verstanden. Eindringlich und zuweilen bis zum Exzesshaften, werden stereotyp-maskuline Charaktere gezeigt, die in einer rechtlosen und von Moral befreiten Welt agieren.

Nicht nur im Film wird der Balkan oftmals als «barbarisch», «unzivilisiert», aber auch «folkloristisch» sowie «romantisch» dargestellt. Somit repräsentiert das «self-Balkanisation cinema» ein «Anderes» zum «zivilisierten» «West-» Europa.[4] Derart angereichert entsteht ein «external look of the foreigners, of West, in the image thus presented. We are like this, and in fact, we’re even worse then you thought we are, and we love it!»[5] Diese Perspektive lässt sich schön in der berühmten Einführungsszene von Das Pulverfass (Bure baruta, 1998, R: Goran Paskaljević) wiederfinden in dem der Entertainer sich mit den Worten «Why do you laugh? Because I'm different? Because I'm a freak? Well, then welcome!» an das Publikum wendet. Selbst der Zuschauer fühlt sich auf die Worte des «auffällig» gekleideten Entertainer direkt angesprochen. Ebenso typisch für das «self-Balkanisation cinema» ist der meist rurale Schauplatz. Immer wieder erhalten die Zuschauer den Eindruck eines übertrieben ländlichen Balkanraums welcher sich der Modernisierung entzieht bis entgegenstellt. Dadurch lässt sich diese filmische Landschaft gezielt mit imaginierten und stereotypischen Bildern füllen.[6] Diese Charakteristiken finden sich z.B. im Film Dörfer in Flammen (Lepa sela lepo gore, 1996, R: Srđan Dragojević).

Normalisation cinema

Zwanzig Jahre nach dem Zerfall Jugoslawiens, sucht eine neue Filmgeneration nach erneuerten Stilmitteln und Erzählformen im Film. Unter diesem Zeichen gilt das «self-Balkanisation cinema» mit dem Fokus auf das «wir sind anders,» als kontraproduktiv.[7] Es ist eine unkonventionelle Bewegung zu Tage getreten, die wiederum vieles Gemeinsam hat. Jenseits des Nationalen versuchen die Filmfiguren des «Normalisation cinema» einen Umgang mit den oftmals bedrückenden Atmosphäre der Nachkriegszeit zu finden. Diese Filme lassen sich als «dokumentarisch» beschreiben und verzichten auf die für die «self-Balkanisation cinema» typischen Flashbacks. Dieses neue Kino bezieht dezidiert Stellung gegen vorhergehende Exotismen, ihre Schauplätze sind entlokalisiert, d.h. der Film kann überall dort wo gesellschaftlich-wirtschaftliche Übergänge stattfinden, spielen. Selbst wenn lokale Symbole vorkommen, sind diese nicht identitätsstiftend für die Protagonisten.[8] Ein Beispiel für diese «entlokalisierte» These bildet z.B der Film Verteidigung und Schutz (Obrana i zaštita, 2013, R: Bobo Jelčić )[9] welcher in der bosnisch-herzegowinischen Stadt Mostar spielt. Als Sinnbild für die Kriege der 1990er Jahre und des schwierigen Wiederanknüpfen an den multiethnischen Dialog, steht die Alte Brücke (Stari most) über der Neretva. Dieses Symbol von Völkerverständigung und Bürgerkrieg, kommt nur noch vereinzelt, gar zufällig, im Film vor und wird so nicht metaphorisch stilisiert. Die Alte Brücke ist gewissermassen vom ethnischen, kulturellen oder politischen Konfliktpotenzial befreit und erhält keine Wirkung auf die Filmprotagonisten.

Alltägliche Geschichten

Der breite Wechsel im Filmschaffen ist länderübergreifend bzw. in allen jugoslawischen Nachfolgestaaten zu beobachten. Somit zeigt sich, dass die nun eigenständigen Nationen vieles verbindet. Alle müssen die gängige Sichtweise auf Jugoslawien, die Auflösungskriege und das Projekt des «national building» neu aushandeln. Dazu gehört ein kritisches Filmschaffen, welches die heute noch patriarchalische Gesellschaft zu visualisieren versucht. Doch wird dies weder mit Moral veranschaulicht, noch wird ein Schuldiger präsentiert, sondern zurückhaltend und beinahe «dokumentarisch» werden die Protagonisten in ihren alltäglichen Mühen und dem Versuch begleitet, gesellschaftliche Grenzen auszuloten. Aufgeladene Identitätssuche und Authentizität wird in diesen Filmen nicht zum Thema gemacht.[10] Noch immer sind viele Tabus und Losungen von der Aussen- wie auch Innenperspektive vorhanden. Dadurch fällt es den Filmen des «Normalisation cinema» schwer, ein breites Publikum zu finden, müssen diese doch zusätzlich gegen unterhaltsame Filme des «self-Balkanisation cinema,» die immer noch produziert werden, bestehen können.[11] Selbst fadenscheinig gesellschaftskritische Filme können den schemenhaften Balkanbildern verfallen und sind so, problematisch, vor allem da diese leider oftmals erfolgreich an Festivals gezeigt werden.[12] Doch handelt es sich mit dem «Normalisation cinema» nicht um ein Nischenkino, sondern vielmehr um ein umfassendes Filmschaffen aus dem post-jugoslawischen Raum das nach einer Filmsprache fern von Schablonen sucht und sich demzufolge vielleicht gar einem Filmstil «jenseits des Nationalen» verpflichtet.

Anmerkungen

  1. Vgl.: Iordanova, Dina: Cinema of Flames. Balkan Film, Culture and the Media, London: British Film Institute, 2001.
  2. Der Filmwissenschaftler Nebojša Jovanović bemerkte an einem Gespräch, dass der Film Underground (Podzemlje, 1995, R: Emir Kusturica) mit Blick auf den Festivalpreis gedreht wurde.
  3. Filme wie z.B.: Vor dem Regen (Pred doždot, 1993, R: Milčo Mančevski), Gewinner Goldener Löwe, Underground (Podzemlje, 1995, R: Emir Kusturica), Gewinner Goldene Palme. Dörfer in Flammen (Lepa sela lepo gore, 1996, R: Srđan Dragojević), Wunden (Rane, 1998, R: Srđan Dragojević) sowie Das Pulverfass (Bure baruta, 1998, R: Goran Paskaljević).
  4. Vgl.: Maria Todorova: Imagining the Balkans, New York: Oxford University Press, 1997 verwiesen. Übersetzungen in alle Sprachen des Balkans. Überarbeitete englische Ausgabe, Oxford University Press, 2009.
  5. Jamerson, Fredric.: Thoughts of Balkan Cinema, in: A. Egoyan and I. Balfour (Hg.): Subtitles: On the Foreignness of the Film, Cambridge: The MIT Press, 2004. S.: 236-56.
  6. Pavičić, Jurica: «Cinema of Normalization»: Changes of Stylistic Model in post-Yugoslav Cinema after the 1990s, in: Studies in Eastern European Cinema, 1:1, 2010. S.: 45.
  7. Pavičić, Jurica: 2010. S. 47f.
  8. Pavičić, Jurica: 2010. S. 48.
  9. International unter dem Filmtitel A Stranger bekannt.
  10. Pavičić, Jurica: 2010. S. 50.
  11. Gespräch mit dem Filmwissenschaftler Nebojša Jovanović vom 24.06.14 in Sarajevo.
  12. Kreise (Krugovi, 2013, R: Srdan Golubović, Produktion: Serbien, Deutschland, Frankreich, Slowenien, Kroatien) gewann den Preis der Ökumenischen Jury an der Berlinale, Special Jury Price am Sundance Film Festival, Beste Regie am goEast Festival, im Gegenzug aber auch den Publikumspreis am Sarajevo Film Festival.

Literaturliste (Auswahl)

Bjelić, Dušan: Global Aesthetics and the Serbian Cinema ot the 1990s. In: Anikó Imre (Hg.): East European Cinemas. New York 2005, S. 103-119.

Crnković, Gordana: Post-Yugoslav Literature and Film. Fires, Foundations, Flourishes. London 2012.

Daković, Nevena: Europe Lost and Found: Serbian Cinema and EU Integration. In: New Cinemas: Journal of Contemporary Film Volume 4 Nr. 2 (2006), S. 93-103.

Iordanova, Dina: Cinema of Flames. Balkan Film, Culture and the Media. London 2001.

Jameson, Fredric: Thoughts on Balkan Cinema. In: Atom Egoyan (Hg.): Subtitles. On the Foreignness of Film. Cambridge 2004.

Kronja, Ivana: The Aesthetics of Violence in Recent Serbian Cinema: Masculinity in Crisis. In: Film Criticism Jg. 30 H. 3 (2006), S. 1-37.

Krstić, Igor: A Vision of the Bosnian War: Srdan Dragojević‘s Lepa Sela Lepo Gore (1996). In: Andrew Horton (Hg.): The Celluloid Tinderbox. Yugoslav Screen Reflections of a Turbulent Decade. Central European Review. Shropshire 2000, S. 43–62.  

Levi, Pavle: Disintegration in Frames. Aesthetic and Ideology in the Yugoslav and post-Yugoslav cinema. Stanford 2007.

Pavičić, Jurica: «Cinema of Normalization»: Changes of Stylistic Model in post-Yugoslav Cinema after the 1990s. In: Studies in Eastern European Cinema, 1:1 (2010), S.: 43-56.

Todorova, Maria: Imagining the Balkans. New York 1997.