Der jugoslawische Partisanenfilm

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Filmstill: Walter verteidigt Sarajevo
(Valter brani Sarajevo, 1972) von Hajrudin Krvavac.

Text: MR

Der Partisanenfilm gilt als erfolgreichstes Genre der jugoslawischen Filmgeschichte. Als ein Subgenre der Kriegsfilme stellen die Partisanenfilme den Befreiungskampf der Partisanen gegen die Besatzer und Kollaborateure dar.[1]


Ideologie des Partisanenfilms

Das Thema des Partisanenkampfes eignete sich ideal in verschiedensten Formen der künstlerischen Darstellung. Der Widerstand gegen die deutschen Belagerer bot die Grundlage und Legitimation des kommunistischen Regimes unter Josip Broz Tito. Durch die Glorifizierung der Vergangenheit konnte man auch auf die Gegenwart Einfluss nehmen. So werden die Partisanenfilme zu Trägern der Ideologie.[2] Die Filme prägten die Erinnerung an den Zweiten Weltkrieg auch für die nachfolgenden Generationen. Die «Brüderlichkeit und Einheit», welche die Schlagwörter der Sozialistischen Föderativen Republik Jugoslawien (SFRJ) waren, kamen in den Geschichten der Befreiungskämpfer besonders zur Geltung. Die Natürlichkeit der Entwicklung hin zum jugoslawischen Staat mit Marschall Tito an der Spitze, konnte durch die Partisanenfilme illustriert werden.[1]

Geschichte des Partisanenfilms

DVD Umschlag: Sutjeska (1973) von Stipe Delić.

Der Partisanenfilm ist keine jugoslawische Erfindung, sondern war ein internationales Phänomen. In der UdSSR wurden beispielsweise schon während dem Zweiten Weltkrieges Partisanenfilme produziert. Der erste jugoslawische Film dieses Genres war Slavica von Vjekoslav Afrić (Slavica, 1947). Zeitgleich war es auch der erste Spielfilm im noch jungen Staat Jugoslawien überhaupt.[3] Die frühen Partisanenfilme waren stark an die sowjetischen Kriegsfilme angelehnt. Sie folgten der Doktrin des Sozialistischen Realismus (Sozrealismus), die eng mit der Person Stalins verbunden war. Nachdem Josip Broz Tito ab 1948 mit dem System und der Idee des Stalinismus brach, verschwanden die Elemente des Sozrealismus nach und nach auch aus den jugoslawischen Künsten. So begann eine Phase der Kinoproduktionen, in der die Filme neben dem heimischen Publikum gezielt auch ausländische Märkte erreichen sollten.[4] Internationale Koproduktionen wie der österreichisch-jugoslawische Partisanenfilm Die Letzte Brücke (Poslednji Most, 1954) füllten die Kinosäle auch im Ausland. Solche Kooperationen mit anderen Staaten waren typisch für die gesamte Phase des jugoslawischen Kinos. Das blockfreie Jugoslawien konnte trotz der sozialistischen Staatsordnung auch mit westeuropäischen Mächten Filme produzieren.[5]

In den 60-er Jahren entwickelte sich in Jugoslawien eine Bewegung in der Filmszene, welche Neuer jugoslawischer Film oder Schwarze Welle genannt wurde. Der Partisanenkampf blieb weiterhin eine häufige Thematik dieser Filme, wurde aber kritischer beleuchtet. Der Film Drei (Tri, 1965) von Aleksandar Petrović zeigt das Partisanentum und die Verherrlichung des Zweiten Weltkriegs. U. a. wegen seiner Darstellung von Angst und Furcht kann Drei als wichtigster jugoslawischer Anti-Kriegsfilm bezeichnet werden.[1] Generell sind diese Jahre in Jugoslawien eine Phase der Emanzipation und Dezentralisierung, was insbesondere auch in den filmischen Werken zum Ausdruck kommt.

Die Partisanenfilme, welche in den späten 60-er bis 70-er Jahren gedreht wurden, beziehen sich auf die alten Werte der frühen jugoslawischen Filme. Es ging erneut darum, nur Positives von Tito und den Partisanen zu zeigen und den Befreiungskampf der Partisanen als heilig darzustellen.[6]

Darstellung zur Roten Welle im Rahmen der Ausstellung Grosse Illusion im MIJ, Bild: TS.

Daher wird dieses staatliche Filmprogramm auch im Kontrast zur Schwarze Welle als Rote Welle bezeichnet.[7] Die Filme waren in ihrer Wirkung auf eine breite Masse ausgelegt und die Politik nahm wieder grösseren Einfluss auf die Regisseure. Die Vergangenheit des Partisanenkampfes wurde wieder ins Zentrum gerückt, da es heikler war, aktuelle Themen zu behandeln.[1] Aufgrund des oft einfachen Handlungsbogens und der stereotypischen Charakterzeichnung werden die Partisanenfilme oft mit Hollywoodproduktionen verglichen. Typische Werke der sogenannten Roten Welle waren u.a. die beiden Kriegsepen Die Schlacht an der Neretva (Bitka na Neretvi, 1969) und Die fünfte Offensive (Sutjeska, 1973). Für Die Schlacht an der Neretva konnte Regisseur Veljko Bulajić internationale Topstars gewinnen. Der Film, der auf einer wahren Episode des Zweiten Weltkriegs basiert, wurde 1970 sogar für den Oscar nominiert. Bulajić, der auch schon mit Kozara (1962) grossen Erfolg hatte, kann als wichtigster Vertreter des spektakulären und actionreichen Partisanenfilms bezeichnet werden.[1] Auch Sutjeska von Regisseur Stipe Delić zeigt eine der legendären Offensiven des Partisanenwiderstands. Der Film kostete 3,3 Millionen Dollar, was für diese Zeit eine ungeheure Summe darstellte.[8] Die Hauptrolle in diesem Blockbuster war die des Marschall Titos höchstpersönlich. Gespielt wurde er von Schauspiellegende Richard Burton, welcher mit seiner Frau Elizabeth Taylor ein häufiger Gast in Jugoslawien war. Der Film war in seiner Art als Grossproduktion und seiner durchwegs positiven Darstellung Josip Broz Titos ein typisches Beispiel für die Rote Welle.[9]

Aber nicht nur die epischen Kriegsspektakel mit berühmten Hollywoodstars zogen die Leute ins Kino. Filme wie Walter verteidigt Sarajevo (Valter brani Sarajevo, 1972) von Hajrudin Krvavac wurden zu internationalen Kassenschlagern. Die Geschichte über den Partisanen des Untergrunds erfreute sich vor allem in den kommunistischen Ländern grosser Beliebtheit und gilt noch heute als absoluter Kultfilm. Walter verteidigt Sarajevo war keines dieser grandiosen Spektakel auf dem Schlachtfeld.[1] Eher könnte man ihn als Agenten- oder Spionagefilm in der Stadt Sarajevo bezeichnen. Der Hauptdarsteller Bata Živojinović, der auch in vielen weiteren Partisanenfilmen mitspielte, wurde durch Walter bis heute zum absoluten Kultstar.[5] Das Partisanenthema schaffte es in den 70-ern auch ins TV. Die Serie Die Abgeschriebenen (Otpisani, 1974-75) von Aleksandar Đorđević zeigte eine Gruppe Belgrader Untergrundbefreiungskämpfer und war eine der beliebtesten TV-Serien in Jugoslawien.[1]

Gegen Ende der 70er Jahre ging das Interesse an den Partisanenfilmen langsam verloren. So blieb auch das Kriegsspektakel des Walter-Regisseurs Hajrudin Krvavac Partisanenschwadron (Partizanska Eskandrila, 1979) deutlich unter den Erwartungen zurück. In den 80-er Jahren rückte das Partisanenthema in der Filmindustrie in den Hintergrund. Nicht nur die Regisseure verloren das Interesse am Stoff, auch bei den Machthabern stand dieses Thema nicht mehr an erster Stelle. Zwar wurde 1983 mit Marsch über den Igman von Zdravko Šotra noch einmal ein letzter gross angelegter Partisanenfilm lanciert, der den jugoslawischen Gründungsmythos bestätigen sollte. Aber immer mehr Filmemacher wichen vom Partisanenstoff ab und richten ihr Augenmerk auf nationale Themen. Zunehmend traten u.a. Literarturverfilmungen auf, so verfilmt z.B. der Regisseur Antun Vrdoljak, der in den 70-ern selber Partisanenfilme drehte, nun zahlreiche Klassiker der kroatischen Literatur.[10]

Mit dem Zerfall der SFRJ fand auch der Partisanenfilm ein Ende. Die Filme der 90-er Jahre behandelten grösstenteils den Sezessionskrieg, griffen allerdings öfters auf die Partisanenfilme zurück. Noch heute gelten die Partisanenfilme als bedeutendes Kulturprodukt Jugoslawiens und sind ein wichtiger Träger der Jugonostalgie. Sie werden regelmässig als Klassiker im Festival- und Fernsehprogramm gezeigt.[11] Einen Einblick in das Universum der Partisanenfilme bietet der Dokumentarfilm Cinema Komunisto (2010). Darin werden nicht nur Regisseure und Schauspieler vorgestellt, sondern auch deren Erinnerungen an die Partisanenfilme beleuchtet.[5]

Anmerkungen

  1. 1,0 1,1 1,2 1,3 1,4 1,5 1,6 Iordanova, D. (Ed.): The cinema of the Balkans. Wallflower, London; New York 2006. S. 109.ff
  2. Levi, Pavle: Disintegration in frames: aesthetics and ideology in the Yugoslav and post-Yugoslav cinema. Stanford University Press, Stanford, Calif 2007. S. 64.
  3. Simeunović, Tatjana: Gehütete Streifen. Die Schwarze Welle im serbischen Spielfilm (1962–1972). In: Raecke; Golubović (Hg.): südslavistik-online (Bandnr. 2). 2010, S. 115-147. http://www.suedslavistik-online.de/02/simeunovic.pdf (Stand: 22.10.2014).
  4. Kosanović, D.: Srbija. In: Grbić, B. (Hg.): Die siebte Kunst auf dem Pulverfass. Graz 1996. S. 111.
  5. 5,0 5,1 5,2 Keller, Florian: Als Hollywood Auf Dem Balkan Lag. Derbund.ch/.http://www.derbund.ch/agenda/kino/Als-Hollywood-auf-dem-Balkan-lag/story/28887985.(Stand: 13.11.14).
  6. Simeunović, Gehütete Streifen, S. 130.
  7. Vidan, Aida: Spaces of ideology in South Slavic films. In: Studies in East European Cinema, Vol. 2 Nr.2. (2011), S.173- 192.
  8. Schoenberner, Gerhard: Tito Sah Richard Burton Als Tito. Die Zeit, sec. kultur. http://www.zeit.de/1973/35/tito-sah-richard-burton-als-tito.(Stand:14.11.14).
  9. Vidan, Aida, ed.: In Contrast: Croatian Film Today. New York 2012. S. 34.
  10. Ibid., S. 39.
  11. http://www.srf.ch/player/radio/drs2aktuell/audio/partisanenfilme-der-neue-trend-auf-dem-balkan?id=4c65972b-9763-44ab-a5bb-92dadb8554f9 (Stand: 7.11.2014).

Literaturliste (Auswahl)

Goulding, Daniel J.: Liberated Cinema: The Yugoslav Experience, 1945-2001. 2nd ed., rev. and expanded. Bloomington: Indiana University Press, 2002.

Iordanova, Dina: Cinema of Flames Balkan Film, Culture and the Media. London: British Film Institute, 2001.

Iordanova, Dina ed.: The Cinema of the Balkans. London; New York: Wallflower, 2006.

Keller, Florian: Als Hollywood Auf Dem Balkan Lag. Derbund.ch/.http://www.derbund.ch/agenda/kino/Als-Hollywood-auf-dem-Balkan-lag/story/28887985. (Stand: 13.11.14).

Levi, Pavle: Disintegration in Frames: Aesthetics and Ideology in the Yugoslav and Post-Yugoslav Cinema. Stanford, Calif: Stanford University Press, 2007.

Partisanenfilm; Der neue Trend auf dem Balkan. http://www.srf.ch/player/radio/drs2aktuell/audio/partisanenfilme-der-neue-trend-auf-dem-balkan?id=4c65972b-9763-44ab-a5bb-92dadb8554f9 (Stand: 7.11.2014).

Schoenberner, Gerhard: Tito Sah Richard Burton Als Tito. Die Zeit, sec. kultur. http://www.zeit.de/1973/35/tito-sah-richard-burton-als-tito. (Stand:14.11.14).

Simeunović, Tatjana: Gehütete Streifen. Die Schwarze Welle im serbischen Spielfilm (1962–1972). In: Raecke; Golubović (Hg.): südslavistik-online (Bandnr. 2). 2010, S. 115-147. http://www.suedslavistik-online.de/02/simeunovic.pdf (Stand: 22.10.2014).

Stoil, Michael Jon: Balkan Cinema: Evolution after the Revolution. Studies in Cinema, no. 11. Ann Arbor, MI: UMI Research Press, 1982.

Vidan, Aida, ed.: In Contrast: Croatian Film Today. New York: Berghahn Books, 2012.

Vidan, Aida: Spaces of Ideology in South Slavic Film. Studies in East European Cinema . 2011;2(2).