Belgrad

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Text: SR/LR

Architektonische Mischung in Savamala, einem der ältesten Stadtteile Belgrads, Bild: VW.

Belgrad war von 1944 bis 1991 Hauptstadt der Sozialistischen Föderativen Republik Jugoslawien sowie der Teilrepublik Serbien. In dieser Zeit entstand der Stadtteil Novi Beograd und entwickelte sich zum politisch-administrativen und kulturellen Zentrum.Kartensymbol 300x226.png

Belgrad als politisch-administratives Zentrum des sozialistischen Jugoslawien

Belgrad war die grösste Stadt sowie politisch-administratives Zentrum Jugoslawiens. Hier befand sich die Residenz von Staatspräsident Josip Broz Tito, der Sitz des Zentralkomitees des Bundes der Kommunisten Jugoslawiens (BdKJ), die Regierung mitsamt Ministerien sowie das Parlament. In der Inszenierung des Persönlichkeitskults um Tito spielte die Hauptstadt als Endpunkt der alljährlich stattfindenden Stafette zu Titos Geburtstag im Stadion der Volksarmee einen wichtigen Part. Als Gründungsort der Bewegung der blockfreien Staaten nahm die Stadt auch in der internationalen Politik eine bedeutende Rolle ein. Der Sitz der Kommunistischen Partei Jugoslawiens sowie die meisten Regierungsgebäude befanden sich im Stadtteil Novi Beograd. Als jugoslawischen Erinnerungsort prägte die Infrastruktur der SFRJ, zu der das Haus der Blumen(die ehemalige Präsidentenresidenz mit Titos Grab), das JNA-Stadion und die umliegenden Botschaften der ehemaligen blockfreien Staaten gehören, bis weit über das Ende des Staates die Topographie Belgrads. Diese Gebäude sind errichtet in einem eigenständigen, jugoslawischen Architekturstil.

Novi Beograd

Sicht vom Kalemegdan auf Novi Beograd: Vor dem Ušće-Turm befindet sich das Museum für zeitgenössische Kunst, Bild: VW.

Der Stadteil Novi Beograd markiert als architektonisches Ensemble den Aufbruch Belgrads in Richtung Sozialismus nach dem Zweiten Weltkrieg. Nach den grossen Zerstörungen in den Kriegsjahren und als Reaktion auf die bereits vor dem Krieg bestehende Problematik der akuten Wohnraumknappheit wurde beschlossen, auf dem Sumpfgebiet des westlichen Saveufers eine Satellitenstadt zu errichten. Ein neues geistiges und politisches Zentrum sollte entstehen, zu grossen Teilen durch zur Freiwilligenarbeit aufgebotene Jugendbrigaden. 1948 wurde auf dem 2. Kongress der jugoslawischen Ingenieure und Techniker von dessen Architektensektion beschlossen, dass Architektur eine Reflektion der sozialistischen Realität sein sollte, angereichert mit neuen Ideen (siehe auch: Edvard Ravnikar). Durch den Bruch Titos mit Stalin wurde auch im Bereich der Architektur begonnen an einer eigenen Linie zu arbeiten, um sich so sichtbar von der UdSSR abgrenzen zu können.[1] Den jugoslawischen Stil zeichnete das Abstrakte, Brutalistische, aber auch eine gewisse Leichtigkeit und schlichte Eleganz aus. Die jugoslawische Architektur fand international Anerkennung und wurde in andere blockfreie Staaten exportiert. Die Linie hatte nebst der Abgrenzung von der Sowjetunion aber noch ein anderes politisches Ziel: Jugoslawien war im Vergleich zu anderen sozialistischen Staaten extrem ideologisiert, da der Staat und die Nation sehr jung waren. Die Architektur war also wichtig, um dem Volk den „neuen Staat“ in Stahl und Beton zu manifestieren und sich vom Alten, Monarchistischen abgrenzen zu können.[2] Dazu wurde auch eigens eine jugoslawische Sozialistische Denkmalarchitektur entwickelt. Entsprechend wurde im Zuge der 1960er Jahren der Sitz verschiedener Organe von Staat und Partei in den Stadtteil verlegt (siehe auch: Gebäude des Bundesexekutivrates, Ušće-Turm).

Als Prestigeobjekte können das Hotel Jugoslavija oder der Ušće-Turm aufgezählt werden. 2011 war der Stadtteil Novi Beograd mit 212'104 Einwohnern der bevölkerungsreichste Bezirk Belgrads[3] und erstreckte sich über 4'074 Hektare [4]. Nach dem Zerfall Jugoslawiens verlor der Stadtteil teilweise an Strahlungskraft. Erst im Oktober 2014 kam es hier zum ersten Mal seit 1985 wieder zu einer grossen Militärparade anlässlich des 70. Jahrestags der Befreiung Belgrads von der Nazi-Besetzung.[5] [6] In letzter Zeit wurde Novi Beograd vermehrt zu einer beliebten Wohngegend von Studenten und es ist eine Gentrifizierung erkennbar. Das Museum der Geschichte Jugoslawiens bietet von Fachpersonen geleitete Fahrradtouren durch Novi Beograd an, um Interessierten die symbolische Wichtigkeit des Stadtteils als Zentrum des sozialistischen Jugoslawiens zu vermitteln.[7]

Auch die zweitgrösste Stadt Jugoslawiens Zagreb litt an Wohnraumknappheit und erschuf durch freiwillig mobilisierte Arbeitskräfte einen neuen, modernen Stadtteil (Novi Zagreb).

Jugoslawische Konsumkultur

Im Gegensatz zu den meisten anderen sozialistischen Staaten genossen die Jugoslawen eine praktisch uneingeschränkte Reisefreiheit. Als Bürger eines blockfreien Staates war es möglich, visumfrei in eine grosse Anzahl Länder zu reisen. Einkaufsfahrten in westliche (Nachbar-)Länder (insbesondere nach Triest) führten zu Austausch und kulturellen Kontakten mit der westlichen Konsumkultur.[8]

Die kommunistische Partei setzte sich das Ziel, eine demokratische Konsumkultur zu errichten und die Bevölkerung mit schönen und nützlichen Gütern zu versorgen. So schwappte westlicher Einfluss auf Musik, Mode und Automobilindustrie sowie deren Prestige in die jugoslawische Gesellschaft über. Der Rock n' Roll erlangte besonderer Beliebtheit und fand ihr kulturelles Zentrum im Haus der Jugend. Zahlreiche ausländische Produkte wurden eingeführt oder in Lizenz hergestellt. Um seinen Bürgern ein Gefühl von Fortschritt und Kosmopolitismus vermitteln zu können, wurden in Belgrad Supermärkte im westlichen Stil eröffnet. [9] Im Kino war besonders das Genre des jugoslawischen Partisanenfilms populär und fand internationale Beachtung.

Anmerkungen

  1. Križić Roban, Sandra: Modernity in Architecture, Urban planning and interior decoration after the Second World War. In: Socialism and Modernity. Art, Culture, Politics 1950-1974. Kolešnik, Ljiljana (Hg.). Institut za povijest umjetnosti, Zagreb 2012, S.45-106.
  2. Höpken, Wolfgang: “Durchherrschte Freiheit” - Wie “autoritär (oder wie „liberal“) war Titos Jugoslawien? In: Jugoslawien in den 1960er Jahren. Grandits, Hannes und Sundhaussen, Holm (Hg.). Harrassowitz, Wiesbaden 2013, S.39-65.
  3. http://www.beograd.rs/cms/view.php?id=1201 (Stand: 7.11.2014)
  4. http://www.beograd.rs/cms/view.php?id=1197 (Stand: 18.11.2014)
  5. http://www.tageswoche.ch/de/2014_42/international/670824/ (Stand: 19.11.2014)
  6. http://www.nzz.ch/international/parade-fuer-putin-1.18405209 (Stand: 19.11.2014)
  7. http://www.mij.rs/en/programs/201/bajskultura.html (Stand: 19.11.2014)
  8. Mikula, Maja: Highways of Desire. Cross-Border Shopping in Former Yugoslavia, 1960s-1980s. In: Yugoslavia’s Sunny Side. Grandits, Hannes und Taylor, Karin (Hg.). Central European University Press, Budapest 2010.
  9. Calic, Marie-Janine: Geschichte Jugoslawiens im 20. Jahrhundert. C.H. Beck, München 2010. S.222.


Literaturliste (Auswahl)

  • Calic, Marie-Janine: Geschichte Jugoslawiens im 20. Jahrhundert. C.H. Beck, München 2010.
  • ETH Studio Basel, Contemporary City Institute: Belgrade, a research on urban transformation. Scheidegger & Spiess Zürich 2012.
  • Grandits, Hannes und Sundhaussen, Holm (Hg.). Jugoslawien in den 1960er Jahren. Harrassowitz, Wiesbaden 2013.
  • Höpken, Wolfgang: “Durchherrschte Freiheit” - Wie “autoritär (oder wie „liberal“) war Titos Jugoslawien? In: Jugoslawien in den 1960er Jahren. Grandits, Hannes und Sundhaussen, Holm (Hg.). Harrassowitz, Wiesbaden 2013
  • Kolešnik, Ljiljana (Hg.): Institut za povijest umjetnosti, Zagreb 2012.
  • Križić Roban, Sandra: Modernity in Architecture, Urban planning and interior decoration after the Second World War. In: Socialism and Modernity. Art, Culture, Politics 1950-1974. Zagreb 2012.
  • Kulić, Vladimir; Mrduljaš Maroje; Thaler Wolfgang: Modernism in-Between. The Mediatory Architectures of Socialist Yugoslavia. Jovis, Berlin 2012.
  • Mikula, Maja: Highways of Desire. Cross-Border Shopping in Former Yugoslavia, 1960s-1980s. In: Yugoslavia’s Sunny Side. Grandits, Hannes und Taylor, Karin (Hg.): Central European

University Press, Budapest 2010.

  • Vučetić, Radina: Koka-kola socijalizam. Amerikanizacija jugoslovenske popularne kulture šezdesetih godina XX veka, Službeni glasnik, Beograd 2012.

Weiterführende Links

http://www.ostarchitektur.com/Serbien_Novi_Beograd_Neu_Belgrad.html (Stand: 18.11.2014)

http://www.mij.rs/en/programs/201/bajskultura.html (Stand: 18.11.2014)