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'''Sarajevo''', die  Hauptstadt Bosnien Herzegowinas, erlangte internationale Bekanntheit durch Ereignisse wie das Attentat von Sarajevo im Jahre 1914, die Winterolympiade 1984 und durch die Belagerung von 1992 bis 1996. Toleranz, Offenheit und ethnische Vielfalt sind einerseits Markenzeichen Sarajevos, die die Stadt zum Mikrokosmos Jugoslawiens gemacht haben; andererseits ist die Geschichte der Stadt von kriegerischen Auseinanderetzungen geprägt. [[Datei:Kartensymbol 300x226.png|60px|link=https://www.google.ch/maps/place/Kanton+Sarajevo,+Bosnien+und+Herzegowina/@44.4305597,18.9033754,7.36z/data=!4m2!3m1!1s0x4758cbb1ed719bd1:0x562ecda6de87b33e]]
  
Sarajevo, die  Hauptstadt Bosnien Herzegowinas, erlangte internationale Bekanntheit durch Ereignisse wie das Attentat von Sarajevo im Jahre 1914, die Winterolympiade 1984 und durch die Belagerung von 1992 bis 1996. Seit der Belagerung hat sich vieles verändert und Sarajevo entwickelte sich zu einer lebendigen Metropole und zum Kulturerbe des ehemaligen Jugoslawiens. Toleranz und Offenheit gelten einerseits als Markenzeichen Sarajevos, andererseits entstand letztlich in kurzer Zeit Hass und Gewalt. Beide Deutungen lassen sich aus der wechselhaften Geschichte Sarajevos belegen.
 
  
'''Sarajevo als Mikrokosmos Jugoslawiens'''
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== Sarajevo in der SFRJ ==
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Im Zweiten Weltkrieg wurde Bosnien von deutschen Truppen besetzt und der Kontrolle des «[[Unabhängiger Staat Kroatien|Unabhängigen Staats Kroatien]]» (''Nezavisna Drzava Hrvatska, NDH'') unterstellt. Das unwegsame Gelände machte Bosnien Herzegowina zu einem der wichtigsten Operationsgebiete der kommunistischen [[Partisanenkampf|Partisanenbewegung]]. So beispielsweise auch Sarajevos «Hausberg» ''Igman''. Dieser wurde im Januar 1942 von der ''Ersten Proletarischen Brigade'' in einer aufwändigen Nacht- und Nebelaktion überquert, um einer Einkesselung durch die deutschen Streitkräfte zu entgehen. Diese Militäroperation fand Einzug in den Partisanenfilm [[Marsch über den Igman]] (''Igmanski marš'', 1983) von Zdravko Šotra. Bei [[Jablanica]] an der Neretva fand eine der bedeutendsten Schlachten des Zweiten Weltkrieges statt. In Jajce wurden 1943 die Grundlagen für SFRJ gelegt.
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Im selben Jahr wurde Vladimir Perić – genannt [[Valter]] – Parteisekretär der Stadt und ging Aufgaben im Geheimdienst sowie im Bereich der Anti-Sabotage nach. Valter wurde zur Symbolfigur des Widerstands in Sarajevo und zum Nationalheld Jugoslawiens. Der jugoslawische Partisanenfilm «Walter verteidigt Sarajevo» ''(Valter brani Sarajevo)'' war in Jugoslawien äussert populär.
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In der Periode des sozialistischen Jugoslawien modernisierte sich die Stadt Sarajevo rapide. Um der Armut nach dem Krieg entgegenzuwirken, wurden die Alphabetisierung und Urbanisierung angekurbelt, welche in der Zwischenkriegszeit ins Stocken geraten waren. Die Einwohnerzahl verdreifachte sich in Sarajevo und die Muslime waren mit einem Anteil von rund 50% die stärkste Bevölkerungsgruppe. Schwerpunkte der Stadtentwicklung waren nach dem Zweiten Weltkrieg die Schaffung von Wohnraum, die Anlage von Kultur-, Wissenschafts- und Freizeiteinrichtungen sowie die Neugestaltung des Regierungs- und Verwaltungssektors. Eine beeindruckende Liste der neuen Institutionen sprach für das erneuerte Stadtbild Sarajevos der unmittelbaren Nachkriegszeit.<ref> Sundhaussen, Holm: Sarajevo. Die Geschichte einer Stadt. Wien, Köln, Weimar 2014, S. 289; 293 f.</ref>
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===Sarajevo als Mikrokosmos Jugoslawiens===
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[[Datei: BaščaršijaMarkt.jpg|300px|thumb|right|Der überdachte Markt auf der ''Baščaršija'', ''Bild: VW.'']]
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Während der goldenen 1960-er und 1970-er Jahre war Jugoslawien für viele Länder ein Vorbild für den Sozialismus, die blockfreie Bewegunge und als Staat, der das Zusammenleben mehrerer Nationalitäten freiedlich gelöst hatte. <ref> Sundhaussen, Holm: Jugoslawien und seine Nachfolgestaaten 1943-2011. Eine ungewöhnliche Geschichte des Gewöhnlichen. 2014. </ref> In dieser Phase fiel auch die Anerkennung der Muslime als selbständige Nation, für deren Identität allein die Religion und nicht ihre ethnische Zugehörigkeit entscheidend war. Das Zentrum dieser neuen Nation wurde das an sich multiethnische Sarajevo, welches als kleines Abbild Jugoslawiens bezeichnet wurde, denn nirgends wo sonst war die ethnische Vielfalt und die Multikulturalität so gross. Kirchen, Moscheen und Synagogen lagen und liegen heute noch unweit voneinander und wiederspiegeln diese Multikulturalität.
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Die Sozialistisch Föderative Republik Jugoslawiens (''SFRJ'') war eines der beliebtesten Ferienziele in Europa. In Bosnien war vor allem Sarajevo ein bevorzugtes Domizil. Der Wintertourismus war auf Sarajevo konzentriert, wo 1984 zudem die Olympischen Winterspiele stattfanden. Neben dem Tourismus war Sarajevo als Zentrum der jugoslawischen Rockszene bekannt. Rockbands wie Bijelo Dugme ''(Weisser Knopf)''<ref>http://de.wikipedia.org/wiki/Bijelo_dugme (Stand: 11.11.2014).</ref>, Zabranjeno Pušenje ''(Rauchen Verboten)''<ref>http://de.wikipedia.org/wiki/Zabranjeno_pu%C5%A1enje (Stand: 11.11.2014).</ref> und viele mehr hatten ihren Anfang in Sarajevo.
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== Sarajevo im bosnischen Bürgerkrieg 1992-1995 ==
  
Die wahrscheinlich glücklichste und fortschrittlichste Zeit kommt für Sarajevo in der Periode des sogenannten zweiten, sozialistischen Jugoslawien, als die Stadt rapide weiterentwickelt und modernisiert wurde. Die Bürger aller Glaubensgemeinschaften (Bosniaken, Serben, Kroaten und Juden) lebten gleichberechtigt und nahmen am Aufbau Bosniens und Jugoslawiens teil.
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Anfangs der 1990er Jahre strebten die einzelnen Republiken ihre Unabhängigkeit an. Die serbische Bevölkerung Bosnien Herzegowinas boykottierte die Abstimmung zur Unabhängigkeit Bosnien Herzegowinas. Das Streben nach einem serbischen Staat und die Radikalisierung endeten im Bürgerkrieg Bosnien Herzegowinas. Im Jahre 1992 folgte die Unabhängigkeitserklärung Bosnien Herzegowinas, welche von der EU und den USA anerkannt wurde.  
In dieser Phase fiel auch die Anerkennung der Muslime als selbständige Nation, für deren Identität allein die Religion und nicht ihre ethnische Zugehörigkeit entscheiden war. Das Zentrum dieser  neuen Nation wurde das an sich multiethnische Sarajevo.<ref>http://ifb.bsz-bw.de/bsz400481553rez-1.pdf;jsessionid=FF33FBA6F700A8D93F01D3A0B29B3DCF?id=6782 </ref> 
 
Sarajevo galt als kleines Abbild Jugoslawiens, nirgends wo war die ethnische Vielfalt und die Multikulturalität so gross. In Sarajevo standen und stehen immer noch die Moscheen und Kirchen unweit nebeneinander und wiederspiegeln diese Vielfalt beispielhaft.
 
Im sozialistischen Jugoslawien (1945-1992) seien die Nationalismen wieder in den Hintergrund getreten. Es sei entstanden, «was es in Sarajevo angeblich immer schon gab: Interkulturalität. Und diese Interkulturalität wurde in den 1990er-Jahren gezielt zerstört».<ref>http://www.srf.ch/kultur/gesellschaft-religion/sarajevo-gegenbild-einer-nationalen-hauptstadt</ref> 
 
  
'''Die Belagerung Sarajevos'''
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Sarajevo wurde während der Belagerung durch die Armee Republika Srpska zwischen 1992 und 1995 weitgehend zerstört. Dabei wurden grosse Teile der historischen Innenstadt und viele Wohngebiete bombardiert. Die Strom-, Wasser- und Gasversorgung wurde unterbrochen, der öffentliche Verkehr lahmgelegt, sämtliche Einrichtungen wie der Hauptbahnhof, Krankenhäsuer, Regierungsgebäude, zahlreiche Hotels und mehr als 100'000 Wohnungen wurden destruiert. <ref>Holm, Sarajevo, S.327</ref>  Die aus österreichisch-ungarischen Zeiten stammende Nationalbibliothek wurde durch Artilleriebeschuss vernichtet. Bosnisch-serbische Scharfschützen eröffneten wahllos das Feuer auf Zivilisten und verwandelten eine der Hauptausfallstrassen Sarajevos in die berüchtigte Sniper Alley. Von den Hügeln aus, deren Skigebiete 1984 noch als Austragungsort der Olympischen Winterspiele gedient hatten, wurde Artillerie- und Mörserfeuer auf Gemüsemärkte getragen. Die schlimmste Zeit ist vom Ende des zweiten Halbjahrs 1992 und Anfang des ersten Halbjahrs 1992 datiert: das Leben fand grösstenteils in Kellern statt, die Wirtschaft brach zusammen, das Wasser sowie die Stromversorgung wurde knapp.
  
Die aus dem damaligen osmanischen Reich blühende Stadt wurde während der Belagerung 1992-1996 weitgehend zerstört und war Schauplatz von Auseinandersetzungen, Mord, Hass, Gewalt und Brutalität. Die Stadt wurde im Bosnienkrieg fast vier Jahre lang von der Armee des mutmasslichen Kriegsverbrechers Ratko Mladic belagert und hat unheimlich gelitten. Grosse Teile der historischen Innenstadt und viele Wohngebiete wurden zerstört. Die aus österreichisch-ungarischen Zeiten stammende Nationalbibliothek mit ihrem gesamten Bestand wurde ein Opfer der Flammen. Bosnisch-serbische Scharfschützen liessen von ihren Nestern in den umliegenden Bergen ihrer Willkür freien Lauf, eröffneten wahllos das Feuer auf Zivilisten und verwandelten eine der Hauptausfallsstrassen Sarajevos in die berüchtigte Sniper Alley. Von den Hügeln aus, deren Skigebiete 1984 noch als Austragungsort der Olympischen Winterspiele dienten, wurde Artillerie- und Mörserfeuer auf Gemüsemärkte getragen. Dabei ist die schlimmste Zeit vom Ende des zweiten Halbjahrs 1992 und Anfang des ersten Halbjahrs 1992 datiert: das Leben fand grösstenteils in Kellern statt, die Wirtschaft brach zusammen, das Wasser sowie die Stromversorgung wurde knapp. Täglich trafen ungefähr 300 Granaten die Stadt und forderten viele Menschenleben.
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Durch die Fertigstellung des [[Sarajevo-Tunnel|Sarajevo-Tunnels]] 1993, verbesserte sich die Versorgungslage der Stadt. Der Transport von Lebensmitteln, Medikamenten und Waffen wurde ermöglicht. Ohne die Errichtung des Tunnels wäre das Überleben in der Stadt um einiges schwerer gewesen.
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Durch die Fertigstellung des [[Sarajevo-Tunnels]] 1993, verbesserte sich die Versorgungslage; Transport von Lebensmittel, Medikamenten und Waffen wurde ermöglicht.
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== Erinnerungskultur Sarajevos ==
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[[Datei:Sarajevo_erinnerung.jpg|300px|right|thumb|Erinnerungskulturen an einem Trödelstand in Sarajevo, ''Bild: TS.'']]
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Das Dayton-Abkommen beendete den Krieg und legte Grundlagen für die Nachkriegsordnung in Bosnien Herzegowina. 20 Jahre nach Kriegsende hat sich das Stadtbild Sarajevos stark verändert. Es entstanden moderne Hochhäuser und neue Einkaufszentren. Vielerorts stehen aber immer noch Wohnungen und Objekte, die noch nicht renoviert wurden und deren Einschusslöcher an die Belagerung erinnern. So bleiben die Kriegshandlungen nach wie vor präsent. Die sogenannten «[[Roten Rosen Sarajevos]]» oder Denkmäler wie dasjenige für die «Ermorderten Kinder Sarajevos» (''Spomenik ubijenoj djeci Sarajeva''), welches an der «Marschall-Tito Strasse» (''Marsala Tita)'' steht, bieten Raum für das Gedenken an die Opfer des Bürgerkrieges.  
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Es ist also nicht verwunderlich, dass die Jugo- und Tito-Nostalgie auch in Sarajevo präsent sind. Eine der Hauptstrassen im Zentrum trägt nach wie vor den Namen «Marsala Tita». Hinter dem Historischen Museum Sarajevos gibt es ein «[[Tito-Café]]», welches gut besucht ist sowie eine «[[Rock Bar Johnny]]», die an die Musik und die Zeit im damaligen Jugoslawien erinnern. Diese Nostalgie steht für die Zeit vor dem Krieg und an das, woran sich die Menschen gerne erinnern.
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Die wirtschaftliche, soziale und politische Situation hat sich in Bosnien bzw. Sarajevo allerdings kaum entwickelt. Eine ethno-nationalistisch geteilte Parteilandschaft, hohe Arbeitslosigkeit und geringe Löhne sind allgegenwärtige Probleme. Die Stadt Sarajevo liegt auf beiden Seiten der bosnischen Entitätengrenze zwischen der Bosniakisch-Kroatischen Föderation und der Republika Srpska. Ein grosses Problem dieser Teilung wiederspiegelt sich im Bildungswesen, welches unter anderem von einem wichtigen Autoren Bosnien Herzegowinas [[Nenad Veličković ]] kritisiert wird.
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== Anmerkungen ==
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==Literaturliste (Auswahl)==
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Burton, Kim: Balkan Beat- Die musikalische Vielfalt im ehelamligen Jugoslawien. In: Brouhton, Simon (Hg.): Weltmusik. Stuttgart 2000.
  
Noch heute sind an praktisch jeder Fassade Einschusslöcher zu erkennen, zu umfassend war die Zerstörung nach dem Abzug der Serben 1996. Lange Zeit nach dem Krieg konnte sich die Stadt nicht erholen und mehrere Jahre danach änderte sich das Stadtbild Sarajevos nicht grundlegend. Viele Gebäude wurden unverändert stehen gelassen und erinnerten lange Zeit an die Belagerung. Die [[Roten Rosen Sarajevos]] zeigen Stellen, wo  die Granaten eintrafen und Friedhöfe rund um und in der Stadt wiederspiegeln die hohen Opferzahlen.  
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Melčić, Dunja: Der Jugoslawien-Krieg. 1999.
  
'''Erinnerungskultur Sarajevos'''
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Misina, Dalibor: Shake, rattle and roll. Yugoslav rock music and the poetics of social critique. Farnham 2013.
  
Wie ganz Bosnien leide Sarajevo an den Folgen des Krieges von 1992-95, stellt der deutsche Südosteuropa Historiker Holm Sundhaussen fest: «Es leidet an einer gespaltenen, traumatisierten, verarmten Gesellschaft, an einer von der internationalen Gemeinschaft implementierten Verfassung, die einen funktionierenden Staat unmöglich macht, und an der Unfähigkeit einer hochprivilegierten Politikerschicht, die vor allem an den Erhalt ihrer Privilegien denkt und sich weigert, Lösungen im Interesse der Bevölkerung zu suchen.»<ref>http://www.srf.ch/kultur/gesellschaft-religion/sarajevo-gegenbild-einer-nationalen-hauptstadt</ref>
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Perković, Ante: Sedma republika. Pop kultura u YU raspadu. Zagreb 2011.
In der Gegenwart Bosnien und Herzegowinas nimmt die jüngste, vom blutigen Krieg gekennzeichnete Vergangenheit eine herausragende Stellung ein. Das Leben ist immer noch stark vom Kriegsgeschehen und den Kriegsfolgen geprägt und das Thema der Verantwortung für den Krieg ist aus dem gesellschaftspolitischen Diskurs nicht weg zu denken.<ref>http://www.kas.de/wf/doc/kas_9323-544-1-30.pdf?090729102302</ref>
 
  
Erst im letzten Jahrzehnt nahm die Modernisierung Sarajevos zu, das Stadtbild musste sich nach dem Krieg verändern. Es entstanden moderne Hochhäuser, neue Einkaufszentren und moderne Architekturen. Vielerorts stehen aber immer noch Wohnungen und Objekte, die noch nicht renoviert wurden und deren Einschusslöcher an den Krieg erinnern. Daran erkennt man, die noch nicht abgeschlossene Vergangenheitsbewältigung. Neben diesen Erinnerungen  an den Krieg, die durch zerstörte Objekte etc. repräsentiert werden, erinnern sich die Leute gerne an die Zeit Jugoslawiens. Für viele Menschen war das Leben im damaligen Jugoslawien einfacher und schöner als heute. Unter der Führung des Marschalls Tito beschreiben die Leute Jugoslawien als eine gut und stark funktionierende Republik.  
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Sundhaussen, Holm: Sarajevo. Die Geschichte einer Stadt. Wien, Köln, Weimar 2014.
  
In Sarajevo gibt es ein [[Tito-Café]], welches gut besucht ist sowie eine [[Rock Bar Johnny]], die an die Musik und die Zeit im damaligen Jugoslawien erinnern.
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Veličković, Nenad: Logiergäste. 1997.
  
Trotz der beständigen Präsenz der Vergangenheit in vielen Bereichen des Lebens in Bosnien Herzegowina bzw. Sarajevo, gibt es heute wenige Beispiele für eine gesellschaftliche Auseinandersetzung. Die Stadt  liegt auf beiden Seiten der bosnischen Entitätengrenze zwischen der Föderation Bosnien und Herzegowina und der Republika Srpska.
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==Weiterführende Links==
  
Durch diese Teilung gibt es auch im Lehrplan der Schulen in Bosnien Herzegowina Unterschiede. Das Bildungssystem ist dreigeteilt, was zu verschiedenen Lehrplänen in den Regionen führt. Diese Teilung wird oft kritisiert mit dem Argument, dass die Schüler „verschiedene Geschichten“ Jugoslawiens lernen.
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http://www.caffetito.ba/ (Stand: 29.11.2014).
  
Dieses Argument wird auch von einem der wichtigsten zeitgenössischen Autoren Bosnien Herzegowinas [[Nenad Velickovic]] unterstützt.
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http://tunelspasa.ba/ (Stand: 29.11.2014).
  
'''Einzelnachweis'''
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http://www.dw.de/%C5%A1kljocam-i-zvocam/a-4461937 (Stand: 29.11.2014).
<references/>
 

Aktuelle Version vom 17. Dezember 2014, 16:25 Uhr

Text: AA

Baščaršija im Herzen Sarajevos, Bild: VW.

Sarajevo, die Hauptstadt Bosnien Herzegowinas, erlangte internationale Bekanntheit durch Ereignisse wie das Attentat von Sarajevo im Jahre 1914, die Winterolympiade 1984 und durch die Belagerung von 1992 bis 1996. Toleranz, Offenheit und ethnische Vielfalt sind einerseits Markenzeichen Sarajevos, die die Stadt zum Mikrokosmos Jugoslawiens gemacht haben; andererseits ist die Geschichte der Stadt von kriegerischen Auseinanderetzungen geprägt. Kartensymbol 300x226.png


Sarajevo in der SFRJ

Im Zweiten Weltkrieg wurde Bosnien von deutschen Truppen besetzt und der Kontrolle des «Unabhängigen Staats Kroatien» (Nezavisna Drzava Hrvatska, NDH) unterstellt. Das unwegsame Gelände machte Bosnien Herzegowina zu einem der wichtigsten Operationsgebiete der kommunistischen Partisanenbewegung. So beispielsweise auch Sarajevos «Hausberg» Igman. Dieser wurde im Januar 1942 von der Ersten Proletarischen Brigade in einer aufwändigen Nacht- und Nebelaktion überquert, um einer Einkesselung durch die deutschen Streitkräfte zu entgehen. Diese Militäroperation fand Einzug in den Partisanenfilm Marsch über den Igman (Igmanski marš, 1983) von Zdravko Šotra. Bei Jablanica an der Neretva fand eine der bedeutendsten Schlachten des Zweiten Weltkrieges statt. In Jajce wurden 1943 die Grundlagen für SFRJ gelegt. Im selben Jahr wurde Vladimir Perić – genannt Valter – Parteisekretär der Stadt und ging Aufgaben im Geheimdienst sowie im Bereich der Anti-Sabotage nach. Valter wurde zur Symbolfigur des Widerstands in Sarajevo und zum Nationalheld Jugoslawiens. Der jugoslawische Partisanenfilm «Walter verteidigt Sarajevo» (Valter brani Sarajevo) war in Jugoslawien äussert populär.

In der Periode des sozialistischen Jugoslawien modernisierte sich die Stadt Sarajevo rapide. Um der Armut nach dem Krieg entgegenzuwirken, wurden die Alphabetisierung und Urbanisierung angekurbelt, welche in der Zwischenkriegszeit ins Stocken geraten waren. Die Einwohnerzahl verdreifachte sich in Sarajevo und die Muslime waren mit einem Anteil von rund 50% die stärkste Bevölkerungsgruppe. Schwerpunkte der Stadtentwicklung waren nach dem Zweiten Weltkrieg die Schaffung von Wohnraum, die Anlage von Kultur-, Wissenschafts- und Freizeiteinrichtungen sowie die Neugestaltung des Regierungs- und Verwaltungssektors. Eine beeindruckende Liste der neuen Institutionen sprach für das erneuerte Stadtbild Sarajevos der unmittelbaren Nachkriegszeit.[1]

Sarajevo als Mikrokosmos Jugoslawiens

Der überdachte Markt auf der Baščaršija, Bild: VW.

Während der goldenen 1960-er und 1970-er Jahre war Jugoslawien für viele Länder ein Vorbild für den Sozialismus, die blockfreie Bewegunge und als Staat, der das Zusammenleben mehrerer Nationalitäten freiedlich gelöst hatte. [2] In dieser Phase fiel auch die Anerkennung der Muslime als selbständige Nation, für deren Identität allein die Religion und nicht ihre ethnische Zugehörigkeit entscheidend war. Das Zentrum dieser neuen Nation wurde das an sich multiethnische Sarajevo, welches als kleines Abbild Jugoslawiens bezeichnet wurde, denn nirgends wo sonst war die ethnische Vielfalt und die Multikulturalität so gross. Kirchen, Moscheen und Synagogen lagen und liegen heute noch unweit voneinander und wiederspiegeln diese Multikulturalität.

Die Sozialistisch Föderative Republik Jugoslawiens (SFRJ) war eines der beliebtesten Ferienziele in Europa. In Bosnien war vor allem Sarajevo ein bevorzugtes Domizil. Der Wintertourismus war auf Sarajevo konzentriert, wo 1984 zudem die Olympischen Winterspiele stattfanden. Neben dem Tourismus war Sarajevo als Zentrum der jugoslawischen Rockszene bekannt. Rockbands wie Bijelo Dugme (Weisser Knopf)[3], Zabranjeno Pušenje (Rauchen Verboten)[4] und viele mehr hatten ihren Anfang in Sarajevo.

Sarajevo im bosnischen Bürgerkrieg 1992-1995

Anfangs der 1990er Jahre strebten die einzelnen Republiken ihre Unabhängigkeit an. Die serbische Bevölkerung Bosnien Herzegowinas boykottierte die Abstimmung zur Unabhängigkeit Bosnien Herzegowinas. Das Streben nach einem serbischen Staat und die Radikalisierung endeten im Bürgerkrieg Bosnien Herzegowinas. Im Jahre 1992 folgte die Unabhängigkeitserklärung Bosnien Herzegowinas, welche von der EU und den USA anerkannt wurde.

Sarajevo wurde während der Belagerung durch die Armee Republika Srpska zwischen 1992 und 1995 weitgehend zerstört. Dabei wurden grosse Teile der historischen Innenstadt und viele Wohngebiete bombardiert. Die Strom-, Wasser- und Gasversorgung wurde unterbrochen, der öffentliche Verkehr lahmgelegt, sämtliche Einrichtungen wie der Hauptbahnhof, Krankenhäsuer, Regierungsgebäude, zahlreiche Hotels und mehr als 100'000 Wohnungen wurden destruiert. [5] Die aus österreichisch-ungarischen Zeiten stammende Nationalbibliothek wurde durch Artilleriebeschuss vernichtet. Bosnisch-serbische Scharfschützen eröffneten wahllos das Feuer auf Zivilisten und verwandelten eine der Hauptausfallstrassen Sarajevos in die berüchtigte Sniper Alley. Von den Hügeln aus, deren Skigebiete 1984 noch als Austragungsort der Olympischen Winterspiele gedient hatten, wurde Artillerie- und Mörserfeuer auf Gemüsemärkte getragen. Die schlimmste Zeit ist vom Ende des zweiten Halbjahrs 1992 und Anfang des ersten Halbjahrs 1992 datiert: das Leben fand grösstenteils in Kellern statt, die Wirtschaft brach zusammen, das Wasser sowie die Stromversorgung wurde knapp.

Durch die Fertigstellung des Sarajevo-Tunnels 1993, verbesserte sich die Versorgungslage der Stadt. Der Transport von Lebensmitteln, Medikamenten und Waffen wurde ermöglicht. Ohne die Errichtung des Tunnels wäre das Überleben in der Stadt um einiges schwerer gewesen.

Erinnerungskultur Sarajevos

Erinnerungskulturen an einem Trödelstand in Sarajevo, Bild: TS.

Das Dayton-Abkommen beendete den Krieg und legte Grundlagen für die Nachkriegsordnung in Bosnien Herzegowina. 20 Jahre nach Kriegsende hat sich das Stadtbild Sarajevos stark verändert. Es entstanden moderne Hochhäuser und neue Einkaufszentren. Vielerorts stehen aber immer noch Wohnungen und Objekte, die noch nicht renoviert wurden und deren Einschusslöcher an die Belagerung erinnern. So bleiben die Kriegshandlungen nach wie vor präsent. Die sogenannten «Roten Rosen Sarajevos» oder Denkmäler wie dasjenige für die «Ermorderten Kinder Sarajevos» (Spomenik ubijenoj djeci Sarajeva), welches an der «Marschall-Tito Strasse» (Marsala Tita) steht, bieten Raum für das Gedenken an die Opfer des Bürgerkrieges. Es ist also nicht verwunderlich, dass die Jugo- und Tito-Nostalgie auch in Sarajevo präsent sind. Eine der Hauptstrassen im Zentrum trägt nach wie vor den Namen «Marsala Tita». Hinter dem Historischen Museum Sarajevos gibt es ein «Tito-Café», welches gut besucht ist sowie eine «Rock Bar Johnny», die an die Musik und die Zeit im damaligen Jugoslawien erinnern. Diese Nostalgie steht für die Zeit vor dem Krieg und an das, woran sich die Menschen gerne erinnern.

Die wirtschaftliche, soziale und politische Situation hat sich in Bosnien bzw. Sarajevo allerdings kaum entwickelt. Eine ethno-nationalistisch geteilte Parteilandschaft, hohe Arbeitslosigkeit und geringe Löhne sind allgegenwärtige Probleme. Die Stadt Sarajevo liegt auf beiden Seiten der bosnischen Entitätengrenze zwischen der Bosniakisch-Kroatischen Föderation und der Republika Srpska. Ein grosses Problem dieser Teilung wiederspiegelt sich im Bildungswesen, welches unter anderem von einem wichtigen Autoren Bosnien Herzegowinas Nenad Veličković kritisiert wird.

Anmerkungen

  1. Sundhaussen, Holm: Sarajevo. Die Geschichte einer Stadt. Wien, Köln, Weimar 2014, S. 289; 293 f.
  2. Sundhaussen, Holm: Jugoslawien und seine Nachfolgestaaten 1943-2011. Eine ungewöhnliche Geschichte des Gewöhnlichen. 2014.
  3. http://de.wikipedia.org/wiki/Bijelo_dugme (Stand: 11.11.2014).
  4. http://de.wikipedia.org/wiki/Zabranjeno_pu%C5%A1enje (Stand: 11.11.2014).
  5. Holm, Sarajevo, S.327

Literaturliste (Auswahl)

Burton, Kim: Balkan Beat- Die musikalische Vielfalt im ehelamligen Jugoslawien. In: Brouhton, Simon (Hg.): Weltmusik. Stuttgart 2000.

Melčić, Dunja: Der Jugoslawien-Krieg. 1999.

Misina, Dalibor: Shake, rattle and roll. Yugoslav rock music and the poetics of social critique. Farnham 2013.

Perković, Ante: Sedma republika. Pop kultura u YU raspadu. Zagreb 2011.

Sundhaussen, Holm: Sarajevo. Die Geschichte einer Stadt. Wien, Köln, Weimar 2014.

Veličković, Nenad: Logiergäste. 1997.

Weiterführende Links

http://www.caffetito.ba/ (Stand: 29.11.2014).

http://tunelspasa.ba/ (Stand: 29.11.2014).

http://www.dw.de/%C5%A1kljocam-i-zvocam/a-4461937 (Stand: 29.11.2014).