Post-jugoslawischer Film

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Der Zerfall Jugoslawiens brachte eine neue Filmströmung in die Lichtspieltheater. Wiederkehrende Sujets waren die Auflösungskriege der 1990er Jahre und teilweise nostalgische Rückblicke in die Zeit Jugoslawiens. Mit den gesellschaftlichen Veränderungen nach der Jahrhundertwende, suchte eine neue Filmströmung nach einer progressiven Filmsprache, fern von ihren Vorgängern aus der jugoslawischen oder unmittelbaren post-jugoslawischen Zeit.(ref)Vgl.: Iordanova, Dina: Cinema of Flames. Balkan Film, Culture and the Media, London: British Film Institute, 2001.(/ref)

Balkan cinema

Mit dem Ende des jugoslawischen Films trat ein nationalisiertes Kino in Erscheinung, welches von den zum Teil aggressiven Nationalstaatenbildungsprozessen durchdrungen war. Es galt auch mit Hilfe des Films, das Projekt eines ethnischen Nationalstaates zu formen. Aber auch an den vergangenen multiethnischen Staat Jugoslawien wurde in Filmen erinnert. Beispiel für dieses scheinbar unvereinbare Erinnern liefert der Film Underground (Podzemlje, 1995, R: Emir Kusturica) in dem sowohl an die jugoslawische Zeit und deren Symbolik, als auch an die nationalisierte Auflösungszeit erinnert wird. Diese Werke zeigten Stereotypen, ob fremd- oder eigenbestimmt. Im Besonderen wurde auf die Andersartigkeit des Balkanraumes aufmerksam gemacht und latent vorhandene Schablonen in «West-» Europa tradiert. Diese Schemen wurden nicht etwa kritisch hinterfragt, sondern im entschiedenen Masse unterstrichen. Es waren Filme, die an internationalen Festivals Preise gewinnen konnten und im «westlichen arthouse-Kino» gezeigt wurden. All diesen Filmen gemein ist das Erinnern der kriegerischen 1990er Jahre und diese Zeit wird oftmals als ein alltäglicher Gewaltraum verstanden. Fulminant und mit einem Hang zur «über-Ästhetisierung,» werden den Zuschauern maskuline Stereotypen gezeigt, welche in einer rechtslosen und von Moral befreiten Welt agieren. Nicht nur im Film wird der Balkan oftmals als «barbarisch», «unzivilisiert», aber auch «folkloristisch» sowie «romantisch» dargestellt. Somit repräsentiert er ein «Anderes» zum «Westen» . Derart angereichert entsteht ein «external look of the foreigners, of West, in the image thus presented. We are like this, and in fact, we’re even worse than you thought we are and we love it.» Diese Perspektive lässt sich schön in der berühmten Einführungsszene von Das Pulverfass (Bure baruta, 1998, R: Goran Paskaljević) wiederfinden in welcher der Entertainer sich mit den Worten «Why do you laugh? Because I’m different? Because I’m a freak? Well, then welcome!» an das filmische- wie auch an das Zuschauer-Publikum wendet. Ebenso typisch für das «Balkan cinema» ist der meist rurale Schauplatz. Oftmals erhalten die Zuschauer den Eindruck eines übertrieben ländlichen Balkanraums welcher sich der Modernisierung entzieht bis entgegenstellt. Diese filmische Landschaft lässt sich dadurch einfach(er) mit imaginierten und stereotypischen Bildern füllen. Dies lässt sich sehr gut im Film Dörfer in Flammen (Lepa sela lepo gore, 1996, R: Srđan Dragojević) beobachten.


Normalisation cinema

Zwanzig Jahre nach dem Zerfall Jugoslawiens, sucht einen neue Filmgeneration nach neuen Stilmitteln und Erzählformen im Film. Unter diesem Zeichen gilt das «Balkan cinema» mit dem Fokus auf das «wir sind anders,» als kontraproduktiv. Es ist eine neue Bewegung zu Tage getreten, die wiederum vieles Gemeinsam haben. Jenseits des Nationalen versuchen die neuen Filmfiguren einen Umgang mit den oftmals bedrückenden nach-Kriegs-Atmosphären zu finden. Diese Filme lassen sich als dokumentarisch beschreiben und Flashbacks wie sie gerne im «Balkan cinema» zu sehen sind kommen wenig vor. Dieses «Normalisation cinema» bezieht dezidiert Stellung gegen vorhergehende Exotismen, ihre Schauplätze sind entlokalisiert, d.h der Film kann überall dort wo gesellschaftlich-wirtschaftliche Übergänge stattfinden, spielen. Auch wenn lokale Symbole vorkommen, sind diese nicht identitätsbildend, traditionell oder konstituierend für die Protagonisten. Ein Beispiel für diese «entlokalisierte» These bildet z.B der Film Verteidigung und Schutz (Obrana i Zaštita, 2013, R: Bobo Jelčić ) welcher in der bosnisch-herzegowinischen Stadt Mostar spielt. Als Sinnbild für die Kriege der 1990er Jahre und des schwierigen Wiederanknüpfen an den mulitethnischen Dialog, steht die Alte Brücke (Stari most) über die Neretva. Dieses hochkomplexe Symbol kommt nur noch vereinzelt, gar zufällig, im Film vor und wird so nicht symbolisch behandelt, geschweige denn erhält dieses Superzeichen Einfluss auf die Protagonisten im Film. Die Alte Brücke ist gewissermassen vom ethnischen, kulturellen oder politischen Konfliktpotenzial befreit.


Alltägliche Geschichten

Es findet ein breiter stilistischer Wechsel im Filmschaffen statt wobei dieser länderübergreifend in allen ehemaligen jugoslawischen Nationen zu beobachten ist. Somit zeigt es sich, dass diese nun eigenständigen Länder vieles nach wie vor verbindet. Alle müssen die gängige Sichtweise auf Jugoslawien und die Auflösungskriege neu aushandeln. Dazu gehört ein kritisches Filmschaffen, welches die heute noch patriarchalische Gesellschaft zu visualisieren versucht. Doch wird dies weder mit Moral veranschaulicht, noch wird ein Schuldiger präsentiert, sondern zurückhaltend und beinahe dokumentarisch werden die Protagonisten begleitet in ihren alltäglichen Mühen und dem Versuch, gesellschaftliche Grenzen auszuloten. Aufgeladene Identitätssuche und Authentizität wird in diesen Filmen nicht zum Thema gemacht. Doch sind nach wie vor viele Tabus und Losungen von der Aussen- wie auch Innenperspektive vorhanden und es den Filmen des « normalisation cinema» schwer fällt, ein breites Publikum zu finden, müssen diese doch gegen äusserst unterhaltende Filme des «Balkan cinema,» die nach wie vor produziert werden, bestehen können. Selbst fadenscheinig gesellschaftskritische Filme verfallen nach wie vor Todorova’s Balkanbildern und sind so, problematisch, vor allem da diese als «Normalisation cinema» gelten und erfolgreich an Festivals vor allem im «Westen» laufen. Doch handelt es sich mit dem «Normalisation cinema» nicht um ein Nischenkino, sondern vielmehr um ein breites Filmschaffen aus dem post-jugoslawischen Raum das nach einer Filmsprache fern von Schablonen sucht und demzufolge vielleicht gar einem Filmstil «jenseits des Nationalen» verpflichtet ist.


Anmerkungen


Literatur

Bjelic, Dušan: Global Aesthetics and the Serbian Cinema ot the 1990s., in: Anikó Imre (Hg.) East European Cinemas, New York: Taylor & Francis Group, 2005. S.: 103-119.

Crnković, Gordana: Post-Yugoslav Literature and Film. Fires, Foundations, Flourishes, London: Continuum, 2012.

Daković, Nevena: Europe Lost and Found: Serbian Cinema and EU Integration, in: New Cinemas: Journal of Contemporary Film, Volume 4, Nr. 2, 2006. S. 93-103.

Iordanova, Dina: Cinema of Flames. Balkan Film, Culture and the Media, London: British Film Institute, 2001.

Jameson, Fredric: Thoughts on Balkan Cinema, in: Atom Egoyan (Hg.): Subtitles. On the Foreignness of Film, Cambridge: MIT Press, 2004.

Krstić, Igor: A Vision of the Bosnian War: Srdan Dragojević‘s Lepa Sela Lepo Gore (1996), in: Andrew Horton, (Hg.) The Celluloid Tinderbox. Yugoslav Screen Reflections of a Turbulent Decade. Central European Review. Shropshire, 2000. S. 43 – 62.

Kronja, Ivana: The Aesthetics of Violence in Recent Serbian Cinema: Masculinity in Crisis, in: Film Criticism, Jg. 30, H. 3, 2006. S.: 1-37.

Levi, Pavle: Disintegration in Frames. Aesthetic and Ideology in the Yugoslav and post-Yugoslav cinema. Stanford: Stanford University Press, 2007.

Pavičić, Jurica: «Cinema of Normalization»: Changes of Stylistic Model in post-Yugoslav Cinema after the 1990s, in: Studies in Eastern European Cinema, 1:1, 2010. S.: 43-56.

Todorova, Maria: Imagining the Balkans, New York: Oxford University Press, 1997.