Post-jugoslawischer Film: Unterschied zwischen den Versionen

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(Balkan cinema)
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== Balkan cinema ==
 
== Balkan cinema ==
Mit dem Ende Jugoslawiens trat ein nationalisiertes Kino in Erscheinung, welches von den zum Teil aggressiven Nationalstaatenbildungsprozessen durchdrungen war. Es galt auch mit Hilfe des Films, das Projekt eines ethnischen Nationalstaates zu formen. Aber auch an den vergangenen multiethnischen Staat Jugoslawien wurde in Filmen erinnert. Beispiel für dieses scheinbar unvereinbare [[Kollektives Gedächtnis|Erinnern]] liefert der Film Underground. Es war einmal ein Land (Podzemlje, 1995, R: Emir Kusturica) in dem sowohl an die jugoslawische Zeit und deren Symbolik, als auch an die nationalisierte Auflösungszeit erinnert wird. Diese Werke zeigten Stereotypen, ob fremd- oder eigenbestimmt. Im Besonderen wurde auf die Andersartigkeit des Balkanraumes aufmerksam gemacht und latent vorhandene Schablonen in «West-» Europa bekräftigt. Diese Schemen wurden nicht etwa kritisch hinterfragt, sondern im entschiedenen Masse unterstrichen. Es waren Filme, die an internationalen Festivals Preise <ref> Der Filmwissenschaftler Nebojša Jovanović bemerkte an einem Gespräch, dass der Film Underground (Podzemlje, 1995, R: Emir Kusturica) mit Blick auf den Festivalpreis gedreht wurde. </ref> gewinnen konnten und im «westlichen arthouse-Kino» gezeigt wurden. <ref> Es handelte sich z.B um folgende Filme: Vor dem Regen (Pred doždot, 1993, R: Milčo Mančevski), Gewinner Goldener Löwe, Underground (Podzemlje, 1995, R: Emir Kusturica), Gewinner Goldene Palme. Dörfer in Flammen (Lepa sela lepo gore, 1996, R: Srđan Dragojević), Wunden (Rane, 1998, R: Srđan Dragojević) sowie Das Pulverfass (Bure baruta, 1998, R: Goran Paskaljević). </ref> All diesen Filmen gemein ist das Erinnern der kriegerischen 1990er Jahre und diese Zeit wird oftmals als ein alltäglicher Gewaltraum verstanden. Fulminant und mit einem Hang zur «über-Ästhetisierung,» werden den Zuschauern maskuline Stereotypen gezeigt, welche in einer rechtslosen und von Moral befreiten Welt agieren.
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Mit dem Ende Jugoslawiens trat ein nationalisiertes Kino in Erscheinung, welches von den zum Teil aggressiven Nationalstaatenbildungsprozessen durchdrungen war. Es galt auch mit Hilfe des Films, das Projekt eines ethnischen Nationalstaates zu formen. Aber auch an den vergangenen multiethnischen Staat Jugoslawien wurde in Filmen erinnert. Beispiel für dieses scheinbar unvereinbare [[Kollektives Gedächtnis|Erinnern]] liefert der Film ''Underground. Es war einmal ein Land (Podzemlje, 1995, R: Emir Kusturica)'' in dem sowohl an die jugoslawische Zeit und deren Symbolik, als auch an die nationalisierte Auflösungszeit erinnert wird. Diese Werke zeigten Stereotypen, ob fremd- oder eigenbestimmt. Im Besonderen wurde auf die Andersartigkeit des Balkanraumes aufmerksam gemacht und latent vorhandene Schablonen in «West-» Europa bekräftigt. Diese Schemen wurden nicht etwa kritisch hinterfragt, sondern im entschiedenen Masse unterstrichen. Es waren Filme, die an internationalen Festivals Preise <ref> Der Filmwissenschaftler Nebojša Jovanović bemerkte an einem Gespräch, dass der Film ''Underground (Podzemlje, 1995, R: Emir Kusturica)'' mit Blick auf den Festivalpreis gedreht wurde. </ref> gewinnen konnten und im «westlichen arthouse-Kino» gezeigt wurden. <ref> Es handelte sich z.B um folgende Filme: ''Vor dem Regen (Pred doždot, 1993, R: Milčo Mančevski)'', Gewinner Goldener Löwe, ''Underground (Podzemlje, 1995, R: Emir Kusturica)'', Gewinner Goldene Palme. ''Dörfer in Flammen (Lepa sela lepo gore, 1996, R: Srđan Dragojević)'', ''Wunden (Rane, 1998, R: Srđan Dragojević)'' sowie ''Das Pulverfass (Bure baruta, 1998, R: Goran Paskaljević)''. </ref> All diesen Filmen gemein ist das Erinnern der kriegerischen 1990er Jahre und diese Zeit wird oftmals als ein alltäglicher Gewaltraum verstanden. Fulminant und mit einem Hang zur «über-Ästhetisierung,» werden den Zuschauern maskuline Stereotypen gezeigt, welche in einer rechtslosen und von Moral befreiten Welt agieren.
  
Nicht nur im Film wird der Balkan oftmals als «barbarisch», «unzivilisiert», aber auch «folkloristisch» sowie «romantisch» dargestellt. Somit repräsentiert das «Balkan cinema» ein «Anderes» zum «Westen».<ref> Vgl.: Maria Todorova: Imagining the Balkans, New York: Oxford University Press, 1997 verwiesen. Übersetzungen in alle Sprachen des Balkans. Überarbeitete englische Ausgabe, Oxford University Press, 2009. </ref> Derart angereichert entsteht ein «external look of the foreigners, of West, in the image thus presented. We are like this, and in fact, we’re even worse than you thought we are and we love it.» <ref> Jamerson, Fredric.: Thoughts of Balkan Cinema, in: A. Egoyan and I. Balfour (Hg.): Subtitles: On the Foreignness of the Film, Cambridge: The MIT Press, 2004. S.: 236-56. </ref> Diese Perspektive lässt sich schön in der berühmten Einführungsszene von Das Pulverfass (Bure baruta, 1998, R: Goran Paskaljević) wiederfinden in dem der Entertainer sich mit den Worten «Why do you laugh? Because I'm different? Because I'm a freak? Well, then welcome!»  an das filmische- wie auch an das Zuschauer-Publikum wendet. Ebenso typisch für das «Balkan cinema» ist der meist rurale Schauplatz. Immer wieder erhalten die Zuschauer den Eindruck eines übertrieben ländlichen Balkanraums welcher sich der Modernisierung entzieht bis entgegenstellt. Diese filmische Landschaft lässt sich dadurch gezielt mit imaginierten und stereotypischen Bildern füllen. <ref> Pavičić, Jurica: «Cinema of Normalization»: Changes of Stylistic Model in post-Yugoslav Cinema after the 1990s, in: Studies in Eastern European Cinema, 1:1, 2010. S.: 45 </ref>  Dies lässt sich sehr gut im Film [[Dörfer in Flammen]] (Lepa sela lepo gore, 1996, R: Srđan Dragojević) beobachten.
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Nicht nur im Film wird der Balkan oftmals als «barbarisch», «unzivilisiert», aber auch «folkloristisch» sowie «romantisch» dargestellt. Somit repräsentiert das «Balkan cinema» ein «Anderes» zum «Westen».<ref> Vgl.: Maria Todorova: Imagining the Balkans, New York: Oxford University Press, 1997 verwiesen. Übersetzungen in alle Sprachen des Balkans. Überarbeitete englische Ausgabe, Oxford University Press, 2009. </ref> Derart angereichert entsteht ein «external look of the foreigners, of West, in the image thus presented. We are like this, and in fact, we’re even worse than you thought we are and we love it.» <ref> Jamerson, Fredric.: Thoughts of Balkan Cinema, in: A. Egoyan and I. Balfour (Hg.): Subtitles: On the Foreignness of the Film, Cambridge: The MIT Press, 2004. S.: 236-56. </ref> Diese Perspektive lässt sich schön in der berühmten Einführungsszene von ''Das Pulverfass (Bure baruta, 1998, R: Goran Paskaljević)'' wiederfinden in dem der Entertainer sich mit den Worten «Why do you laugh? Because I'm different? Because I'm a freak? Well, then welcome!»  an das filmische- wie auch an das Zuschauer-Publikum wendet. Ebenso typisch für das «Balkan cinema» ist der meist rurale Schauplatz. Immer wieder erhalten die Zuschauer den Eindruck eines übertrieben ländlichen Balkanraums welcher sich der Modernisierung entzieht bis entgegenstellt. Diese filmische Landschaft lässt sich dadurch gezielt mit imaginierten und stereotypischen Bildern füllen. <ref> Pavičić, Jurica: «Cinema of Normalization»: Changes of Stylistic Model in post-Yugoslav Cinema after the 1990s, in: Studies in Eastern European Cinema, 1:1, 2010. S.: 45 </ref>  Dies lässt sich sehr gut im Film ''[[Dörfer in Flammen]] (Lepa sela lepo gore, 1996, R: Srđan Dragojević)'' beobachten.
  
 
== Normalisation cinema ==
 
== Normalisation cinema ==
Zwanzig Jahre nach dem Zerfall Jugoslawiens, sucht eine neue Filmgeneration nach erneuerten Stilmitteln und Erzählformen im Film. Unter diesem Zeichen gilt das «Balkan cinema» mit dem Fokus auf das «wir sind anders,» als kontraproduktiv. <ref> Pavičić, Jurica: 2010. S. 47f.</ref>  Es ist eine unkonventionelle Bewegung zu Tage getreten, die wiederum vieles Gemeinsam haben. Jenseits des Nationalen versuchen die Filmfiguren des «Normalisation cinema» einen Umgang mit den oftmals bedrückenden nach-Kriegs-Atmosphären zu finden. Diese Filme lassen sich als dokumentarisch beschreiben und Flashbacks wie sie gerne im «Balkan cinema» zu sehen sind kommen wenig vor. Dieses «Normalisation cinema» bezieht dezidiert Stellung gegen vorhergehende Exotismen, ihre Schauplätze sind entlokalisiert, d.h der Film kann überall dort wo gesellschaftlich-wirtschaftliche Übergänge stattfinden, spielen. Selbst wenn lokale Symbole vorkommen, sind diese nicht identitätsbildend oder konstituierend für die Protagonisten. <ref> Pavičić, Jurica: 2010. S. 48. </ref> Ein Beispiel für diese «entlokalisierte» These bildet z.B der Film [[Verteidigung und Schutz]] (Obrana i Zaštita, 2013, R: Bobo Jelčić )<ref> International unter dem Filmtitel ''A Stranger'' bekannt.</ref> welcher in der bosnisch-herzegowinischen Stadt Mostar spielt. Als Sinnbild für die Kriege der 1990er Jahre und des schwierigen Wiederanknüpfen an den mulitethnischen Dialog, steht die Alte Brücke (Stari most) über der Neretva. Dieses Symbol von Völkerverständigung und Bürgerkrieg, kommt nur noch vereinzelt, gar zufällig, im Film vor und wird so nicht mit zu einem Gleichnis oder zu einem metaphorischen Etwas. Dadurch erhält das Bauwerk keine Wirkung auf die Protagonisten im Film. Die Alte Brücke ist gewissermassen vom ethnischen, kulturellen oder politischen Konfliktpotenzial befreit.
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Zwanzig Jahre nach dem Zerfall Jugoslawiens, sucht eine neue Filmgeneration nach erneuerten Stilmitteln und Erzählformen im Film. Unter diesem Zeichen gilt das «Balkan cinema» mit dem Fokus auf das «wir sind anders,» als kontraproduktiv. <ref> Pavičić, Jurica: 2010. S. 47f.</ref>  Es ist eine unkonventionelle Bewegung zu Tage getreten, die wiederum vieles Gemeinsam haben. Jenseits des Nationalen versuchen die Filmfiguren des «Normalisation cinema» einen Umgang mit den oftmals bedrückenden nach-Kriegs-Atmosphären zu finden. Diese Filme lassen sich als dokumentarisch beschreiben und Flashbacks wie sie gerne im «Balkan cinema» zu sehen sind kommen wenig vor. Dieses «Normalisation cinema» bezieht dezidiert Stellung gegen vorhergehende Exotismen, ihre Schauplätze sind entlokalisiert, d.h der Film kann überall dort wo gesellschaftlich-wirtschaftliche Übergänge stattfinden, spielen. Selbst wenn lokale Symbole vorkommen, sind diese nicht identitätsbildend oder konstituierend für die Protagonisten. <ref> Pavičić, Jurica: 2010. S. 48. </ref> Ein Beispiel für diese «entlokalisierte» These bildet z.B der Film ''[[Verteidigung und Schutz]] (Obrana i Zaštita, 2013, R: Bobo Jelčić )''<ref> International unter dem Filmtitel ''A Stranger'' bekannt.</ref> welcher in der bosnisch-herzegowinischen Stadt Mostar spielt. Als Sinnbild für die Kriege der 1990er Jahre und des schwierigen Wiederanknüpfen an den mulitethnischen Dialog, steht die Alte Brücke (Stari most) über der Neretva. Dieses Symbol von Völkerverständigung und Bürgerkrieg, kommt nur noch vereinzelt, gar zufällig, im Film vor und wird so nicht mit zu einem Gleichnis oder zu einem metaphorischen Etwas. Dadurch erhält das Bauwerk keine Wirkung auf die Protagonisten im Film. Die Alte Brücke ist gewissermassen vom ethnischen, kulturellen oder politischen Konfliktpotenzial befreit.
  
 
== Alltägliche Geschichten ==
 
== Alltägliche Geschichten ==
 
Es findet ein breiter stilistischer Wechsel im Filmschaffen statt wobei dieser länderübergreifend in allen ehemaligen jugoslawischen Staaten zu beobachten ist. Somit zeigt sich, dass die nun eigenständigen Nationen vieles nach wie vor verbindet. Alle müssen die gängige Sichtweise auf Jugoslawien und die Auflösungskriege neu aushandeln. Dazu gehört ein kritisches Filmschaffen, welches die heute noch patriarchalische Gesellschaft zu visualisieren versucht. Doch wird dies weder mit Moral veranschaulicht, noch wird ein Schuldiger präsentiert, sondern zurückhaltend und beinahe dokumentarisch werden die Protagonisten begleitet in ihren alltäglichen Mühen und dem Versuch, gesellschaftliche Grenzen auszuloten. Aufgeladene Identitätssuche und Authentizität wird in diesen Filmen nicht zum Thema gemacht. <ref> Pavičić, Jurica: 2010. S. 50. </ref>
 
Es findet ein breiter stilistischer Wechsel im Filmschaffen statt wobei dieser länderübergreifend in allen ehemaligen jugoslawischen Staaten zu beobachten ist. Somit zeigt sich, dass die nun eigenständigen Nationen vieles nach wie vor verbindet. Alle müssen die gängige Sichtweise auf Jugoslawien und die Auflösungskriege neu aushandeln. Dazu gehört ein kritisches Filmschaffen, welches die heute noch patriarchalische Gesellschaft zu visualisieren versucht. Doch wird dies weder mit Moral veranschaulicht, noch wird ein Schuldiger präsentiert, sondern zurückhaltend und beinahe dokumentarisch werden die Protagonisten begleitet in ihren alltäglichen Mühen und dem Versuch, gesellschaftliche Grenzen auszuloten. Aufgeladene Identitätssuche und Authentizität wird in diesen Filmen nicht zum Thema gemacht. <ref> Pavičić, Jurica: 2010. S. 50. </ref>
Nach wie vor sind viele Tabus und Losungen von der Aussen- wie auch Innenperspektive vorhanden. Dadurch fällt es den Filmen des «Normalisation cinema» schwer, ein breites Publikum zu finden, müssen diese doch gegen unterhaltsame Filme des «Balkan cinema,» die nach wie vor produziert werden, bestehen können. <ref> Gespräch mit dem Filmwissenschaftler Nebojša Jovanović vom 24.06.14 in Sarajevo. </ref> Selbst fadenscheinig gesellschaftskritische Filme verfallen nach wie vor den schemenhaften Balkanbildern und sind so, problematisch, vor allem da diese leider oftmals erfolgreich an Festivals gezeigt werden. <ref> Kreise (Krugovi, 2013, R: Srdan Golubović, Produktion: Serbien, Deutschland, Frankreich, Slowenien, Kroatien) gewann den Preis der Ökumenischen Jury an der Berlinale, Special Jury Price am Sundance Film Festival, Beste Regie am goEast Festival, im Gegenzug aber auch den Publikumspreis am Sarajevo Film Festival. </ref>  
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Nach wie vor sind viele Tabus und Losungen von der Aussen- wie auch Innenperspektive vorhanden. Dadurch fällt es den Filmen des «Normalisation cinema» schwer, ein breites Publikum zu finden, müssen diese doch gegen unterhaltsame Filme des «Balkan cinema,» die nach wie vor produziert werden, bestehen können. <ref> Gespräch mit dem Filmwissenschaftler Nebojša Jovanović vom 24.06.14 in Sarajevo. </ref> Selbst fadenscheinig gesellschaftskritische Filme verfallen nach wie vor den schemenhaften Balkanbildern und sind so, problematisch, vor allem da diese leider oftmals erfolgreich an Festivals gezeigt werden. <ref> ''Kreise (Krugovi, 2013, R: Srdan Golubović, Produktion: Serbien, Deutschland, Frankreich, Slowenien, Kroatien)'' gewann den Preis der Ökumenischen Jury an der Berlinale, Special Jury Price am Sundance Film Festival, Beste Regie am goEast Festival, im Gegenzug aber auch den Publikumspreis am Sarajevo Film Festival. </ref>  
  
 
Doch handelt es sich mit dem «Normalisation cinema» nicht um ein Nischenkino, sondern vielmehr um ein breites Filmschaffen aus dem post-jugoslawischen Raum das nach einer Filmsprache fern von Schablonen sucht und demzufolge vielleicht gar einem Filmstil «jenseits des Nationalen» verpflichtet ist.  
 
Doch handelt es sich mit dem «Normalisation cinema» nicht um ein Nischenkino, sondern vielmehr um ein breites Filmschaffen aus dem post-jugoslawischen Raum das nach einer Filmsprache fern von Schablonen sucht und demzufolge vielleicht gar einem Filmstil «jenseits des Nationalen» verpflichtet ist.  

Version vom 27. November 2014, 21:52 Uhr

Text: VW


Der Zerfall Jugoslawiens brachte eine neue Filmströmung in die Lichtspieltheater. Wiederkehrende Sujets waren die Auflösungskriege der 1990er Jahre und teilweise nostalgische Rückblicke in die Zeit Jugoslawiens. Mit den gesellschaftlichen Veränderungen nach der Jahrhundertwende, suchte eine neue Filmströmung nach einer progressiven Filmsprache, fern von ihren Vorgängern aus der jugoslawischen oder unmittelbaren post-jugoslawischen Zeit.[1]

Balkan cinema

Mit dem Ende Jugoslawiens trat ein nationalisiertes Kino in Erscheinung, welches von den zum Teil aggressiven Nationalstaatenbildungsprozessen durchdrungen war. Es galt auch mit Hilfe des Films, das Projekt eines ethnischen Nationalstaates zu formen. Aber auch an den vergangenen multiethnischen Staat Jugoslawien wurde in Filmen erinnert. Beispiel für dieses scheinbar unvereinbare Erinnern liefert der Film Underground. Es war einmal ein Land (Podzemlje, 1995, R: Emir Kusturica) in dem sowohl an die jugoslawische Zeit und deren Symbolik, als auch an die nationalisierte Auflösungszeit erinnert wird. Diese Werke zeigten Stereotypen, ob fremd- oder eigenbestimmt. Im Besonderen wurde auf die Andersartigkeit des Balkanraumes aufmerksam gemacht und latent vorhandene Schablonen in «West-» Europa bekräftigt. Diese Schemen wurden nicht etwa kritisch hinterfragt, sondern im entschiedenen Masse unterstrichen. Es waren Filme, die an internationalen Festivals Preise [2] gewinnen konnten und im «westlichen arthouse-Kino» gezeigt wurden. [3] All diesen Filmen gemein ist das Erinnern der kriegerischen 1990er Jahre und diese Zeit wird oftmals als ein alltäglicher Gewaltraum verstanden. Fulminant und mit einem Hang zur «über-Ästhetisierung,» werden den Zuschauern maskuline Stereotypen gezeigt, welche in einer rechtslosen und von Moral befreiten Welt agieren.

Nicht nur im Film wird der Balkan oftmals als «barbarisch», «unzivilisiert», aber auch «folkloristisch» sowie «romantisch» dargestellt. Somit repräsentiert das «Balkan cinema» ein «Anderes» zum «Westen».[4] Derart angereichert entsteht ein «external look of the foreigners, of West, in the image thus presented. We are like this, and in fact, we’re even worse than you thought we are and we love it.» [5] Diese Perspektive lässt sich schön in der berühmten Einführungsszene von Das Pulverfass (Bure baruta, 1998, R: Goran Paskaljević) wiederfinden in dem der Entertainer sich mit den Worten «Why do you laugh? Because I'm different? Because I'm a freak? Well, then welcome!» an das filmische- wie auch an das Zuschauer-Publikum wendet. Ebenso typisch für das «Balkan cinema» ist der meist rurale Schauplatz. Immer wieder erhalten die Zuschauer den Eindruck eines übertrieben ländlichen Balkanraums welcher sich der Modernisierung entzieht bis entgegenstellt. Diese filmische Landschaft lässt sich dadurch gezielt mit imaginierten und stereotypischen Bildern füllen. [6] Dies lässt sich sehr gut im Film Dörfer in Flammen (Lepa sela lepo gore, 1996, R: Srđan Dragojević) beobachten.

Normalisation cinema

Zwanzig Jahre nach dem Zerfall Jugoslawiens, sucht eine neue Filmgeneration nach erneuerten Stilmitteln und Erzählformen im Film. Unter diesem Zeichen gilt das «Balkan cinema» mit dem Fokus auf das «wir sind anders,» als kontraproduktiv. [7] Es ist eine unkonventionelle Bewegung zu Tage getreten, die wiederum vieles Gemeinsam haben. Jenseits des Nationalen versuchen die Filmfiguren des «Normalisation cinema» einen Umgang mit den oftmals bedrückenden nach-Kriegs-Atmosphären zu finden. Diese Filme lassen sich als dokumentarisch beschreiben und Flashbacks wie sie gerne im «Balkan cinema» zu sehen sind kommen wenig vor. Dieses «Normalisation cinema» bezieht dezidiert Stellung gegen vorhergehende Exotismen, ihre Schauplätze sind entlokalisiert, d.h der Film kann überall dort wo gesellschaftlich-wirtschaftliche Übergänge stattfinden, spielen. Selbst wenn lokale Symbole vorkommen, sind diese nicht identitätsbildend oder konstituierend für die Protagonisten. [8] Ein Beispiel für diese «entlokalisierte» These bildet z.B der Film Verteidigung und Schutz (Obrana i Zaštita, 2013, R: Bobo Jelčić )[9] welcher in der bosnisch-herzegowinischen Stadt Mostar spielt. Als Sinnbild für die Kriege der 1990er Jahre und des schwierigen Wiederanknüpfen an den mulitethnischen Dialog, steht die Alte Brücke (Stari most) über der Neretva. Dieses Symbol von Völkerverständigung und Bürgerkrieg, kommt nur noch vereinzelt, gar zufällig, im Film vor und wird so nicht mit zu einem Gleichnis oder zu einem metaphorischen Etwas. Dadurch erhält das Bauwerk keine Wirkung auf die Protagonisten im Film. Die Alte Brücke ist gewissermassen vom ethnischen, kulturellen oder politischen Konfliktpotenzial befreit.

Alltägliche Geschichten

Es findet ein breiter stilistischer Wechsel im Filmschaffen statt wobei dieser länderübergreifend in allen ehemaligen jugoslawischen Staaten zu beobachten ist. Somit zeigt sich, dass die nun eigenständigen Nationen vieles nach wie vor verbindet. Alle müssen die gängige Sichtweise auf Jugoslawien und die Auflösungskriege neu aushandeln. Dazu gehört ein kritisches Filmschaffen, welches die heute noch patriarchalische Gesellschaft zu visualisieren versucht. Doch wird dies weder mit Moral veranschaulicht, noch wird ein Schuldiger präsentiert, sondern zurückhaltend und beinahe dokumentarisch werden die Protagonisten begleitet in ihren alltäglichen Mühen und dem Versuch, gesellschaftliche Grenzen auszuloten. Aufgeladene Identitätssuche und Authentizität wird in diesen Filmen nicht zum Thema gemacht. [10] Nach wie vor sind viele Tabus und Losungen von der Aussen- wie auch Innenperspektive vorhanden. Dadurch fällt es den Filmen des «Normalisation cinema» schwer, ein breites Publikum zu finden, müssen diese doch gegen unterhaltsame Filme des «Balkan cinema,» die nach wie vor produziert werden, bestehen können. [11] Selbst fadenscheinig gesellschaftskritische Filme verfallen nach wie vor den schemenhaften Balkanbildern und sind so, problematisch, vor allem da diese leider oftmals erfolgreich an Festivals gezeigt werden. [12]

Doch handelt es sich mit dem «Normalisation cinema» nicht um ein Nischenkino, sondern vielmehr um ein breites Filmschaffen aus dem post-jugoslawischen Raum das nach einer Filmsprache fern von Schablonen sucht und demzufolge vielleicht gar einem Filmstil «jenseits des Nationalen» verpflichtet ist.

Anmerkungen

  1. Vgl.: Iordanova, Dina: Cinema of Flames. Balkan Film, Culture and the Media, London: British Film Institute, 2001.
  2. Der Filmwissenschaftler Nebojša Jovanović bemerkte an einem Gespräch, dass der Film Underground (Podzemlje, 1995, R: Emir Kusturica) mit Blick auf den Festivalpreis gedreht wurde.
  3. Es handelte sich z.B um folgende Filme: Vor dem Regen (Pred doždot, 1993, R: Milčo Mančevski), Gewinner Goldener Löwe, Underground (Podzemlje, 1995, R: Emir Kusturica), Gewinner Goldene Palme. Dörfer in Flammen (Lepa sela lepo gore, 1996, R: Srđan Dragojević), Wunden (Rane, 1998, R: Srđan Dragojević) sowie Das Pulverfass (Bure baruta, 1998, R: Goran Paskaljević).
  4. Vgl.: Maria Todorova: Imagining the Balkans, New York: Oxford University Press, 1997 verwiesen. Übersetzungen in alle Sprachen des Balkans. Überarbeitete englische Ausgabe, Oxford University Press, 2009.
  5. Jamerson, Fredric.: Thoughts of Balkan Cinema, in: A. Egoyan and I. Balfour (Hg.): Subtitles: On the Foreignness of the Film, Cambridge: The MIT Press, 2004. S.: 236-56.
  6. Pavičić, Jurica: «Cinema of Normalization»: Changes of Stylistic Model in post-Yugoslav Cinema after the 1990s, in: Studies in Eastern European Cinema, 1:1, 2010. S.: 45
  7. Pavičić, Jurica: 2010. S. 47f.
  8. Pavičić, Jurica: 2010. S. 48.
  9. International unter dem Filmtitel A Stranger bekannt.
  10. Pavičić, Jurica: 2010. S. 50.
  11. Gespräch mit dem Filmwissenschaftler Nebojša Jovanović vom 24.06.14 in Sarajevo.
  12. Kreise (Krugovi, 2013, R: Srdan Golubović, Produktion: Serbien, Deutschland, Frankreich, Slowenien, Kroatien) gewann den Preis der Ökumenischen Jury an der Berlinale, Special Jury Price am Sundance Film Festival, Beste Regie am goEast Festival, im Gegenzug aber auch den Publikumspreis am Sarajevo Film Festival.

Literaturliste (Auswahl)

Bjelić, Dušan: Global Aesthetics and the Serbian Cinema ot the 1990s., in: Anikó Imre (Hg.) East European Cinemas, New York: Taylor & Francis Group, 2005. S.: 103-119.

Crnković, Gordana: Post-Yugoslav Literature and Film. Fires, Foundations, Flourishes, London: Continuum, 2012.

Daković, Nevena: Europe Lost and Found: Serbian Cinema and EU Integration, in: New Cinemas: Journal of Contemporary Film, Volume 4, Nr. 2, 2006. S. 93-103.

Iordanova, Dina: Cinema of Flames. Balkan Film, Culture and the Media, London: British Film Institute, 2001.

Jameson, Fredric: Thoughts on Balkan Cinema, in: Atom Egoyan (Hg.): Subtitles. On the Foreignness of Film, Cambridge: MIT Press, 2004.

Krstić, Igor: A Vision of the Bosnian War: Srdan Dragojević‘s Lepa Sela Lepo Gore (1996), in: Andrew Horton, (Hg.) The Celluloid Tinderbox. Yugoslav Screen Reflections of a Turbulent Decade. Central European Review. Shropshire, 2000. S. 43 – 62.

Kronja, Ivana: The Aesthetics of Violence in Recent Serbian Cinema: Masculinity in Crisis, in: Film Criticism, Jg. 30, H. 3, 2006. S.: 1-37.

Levi, Pavle: Disintegration in Frames. Aesthetic and Ideology in the Yugoslav and post-Yugoslav cinema. Stanford: Stanford University Press, 2007.

Pavičić, Jurica: «Cinema of Normalization»: Changes of Stylistic Model in post-Yugoslav Cinema after the 1990s, in: Studies in Eastern European Cinema, 1:1, 2010. S.: 43-56.

Todorova, Maria: Imagining the Balkans, New York: Oxford University Press, 1997.