Sarajevo

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Einleitung

Sarajevo, die Hauptstadt Bosnien Herzegowinas, erlangte internationale Bekanntheit durch Ereignisse wie das Attentat von Sarajevo im Jahre 1914, die Winterolympiade 1984 und durch die Belagerung von 1992 bis 1996. Seit der Belagerung hat sich vieles verändert und Sarajevo entwickelte sich zu einer lebendigen Metropole und zum Kulturerbe des ehemaligen Jugoslawiens. Toleranz und Offenheit gelten einerseits als Markenzeichen Sarajevos, andererseits entstand letztlich in kurzer Zeit Hass und Gewalt. Beide Deutungen lassen sich aus der wechselhaften Geschichte Sarajevos belegen.

Sarajevo als Mikrokosmos Jugoslawiens

Die wahrscheinlich glücklichste und fortschrittlichste Zeit kommt für Sarajevo in der Periode des sogenannten zweiten, sozialistischen Jugoslawien, als die Stadt rapide weiterentwickelt und modernisiert wurde. Die Bürger aller Glaubensgemeinschaften (Bosniaken, Serben, Kroaten und Juden) lebten gleichberechtigt und nahmen am Aufbau Bosniens und Jugoslawiens teil. In dieser Phase fiel auch die Anerkennung der Muslime als selbständige Nation, für deren Identität allein die Religion und nicht ihre ethnische Zugehörigkeit entscheiden war. Das Zentrum dieser neuen Nation wurde das an sich multiethnische Sarajevo.[1] Sarajevo galt als kleines Abbild Jugoslawiens, nirgends wo war die ethnische Vielfalt und die Multikulturalität so gross. In Sarajevo standen und stehen immer noch die Moscheen und Kirchen unweit nebeneinander und wiederspiegeln diese Vielfalt beispielhaft. Im sozialistischen Jugoslawien (1945-1992) seien die Nationalismen wieder in den Hintergrund getreten. Es sei entstanden, «was es in Sarajevo angeblich immer schon gab: Interkulturalität. Und diese Interkulturalität wurde in den 1990er-Jahren gezielt zerstört».[2]

Die Belagerung Sarajevos

Die aus dem damaligen osmanischen Reich blühende Stadt wurde während der Belagerung 1992-1996 weitgehend zerstört und war Schauplatz von Auseinandersetzungen, Mord, Hass, Gewalt und Brutalität. Die Stadt wurde im Bosnienkrieg fast vier Jahre lang von der Armee des mutmasslichen Kriegsverbrechers Ratko Mladic belagert und hat unheimlich gelitten. Grosse Teile der historischen Innenstadt und viele Wohngebiete wurden zerstört. Die aus österreichisch-ungarischen Zeiten stammende Nationalbibliothek mit ihrem gesamten Bestand wurde ein Opfer der Flammen. Bosnisch-serbische Scharfschützen liessen von ihren Nestern in den umliegenden Bergen ihrer Willkür freien Lauf, eröffneten wahllos das Feuer auf Zivilisten und verwandelten eine der Hauptausfallsstrassen Sarajevos in die berüchtigte Sniper Alley. Von den Hügeln aus, deren Skigebiete 1984 noch als Austragungsort der Olympischen Winterspiele dienten, wurde Artillerie- und Mörserfeuer auf Gemüsemärkte getragen. Dabei ist die schlimmste Zeit vom Ende des zweiten Halbjahrs 1992 und Anfang des ersten Halbjahrs 1992 datiert: das Leben fand grösstenteils in Kellern statt, die Wirtschaft brach zusammen, das Wasser sowie die Stromversorgung wurde knapp. Täglich trafen ungefähr 300 Granaten die Stadt und forderten viele Menschenleben.

Durch die Fertigstellung des Sarajevo-Tunnels 1993, verbesserte sich die Versorgungslage; Transport von Lebensmittel, Medikamenten und Waffen wurde ermöglicht.

Noch heute sind an praktisch jeder Fassade Einschusslöcher zu erkennen, zu umfassend war die Zerstörung nach dem Abzug der Serben 1996. Lange Zeit nach dem Krieg konnte sich die Stadt nicht erholen und mehrere Jahre danach änderte sich das Stadtbild Sarajevos nicht grundlegend. Viele Gebäude wurden unverändert stehen gelassen und erinnerten lange Zeit an die Belagerung. Die Roten Rosen Sarajevos zeigen Stellen, wo die Granaten eintrafen und Friedhöfe rund um und in der Stadt wiederspiegeln die hohen Opferzahlen.

Erinnerungskultur Sarajevos

Wie ganz Bosnien leide Sarajevo an den Folgen des Krieges von 1992-95, stellt der deutsche Südosteuropa Historiker Holm Sundhaussen fest: «Es leidet an einer gespaltenen, traumatisierten, verarmten Gesellschaft, an einer von der internationalen Gemeinschaft implementierten Verfassung, die einen funktionierenden Staat unmöglich macht, und an der Unfähigkeit einer hochprivilegierten Politikerschicht, die vor allem an den Erhalt ihrer Privilegien denkt und sich weigert, Lösungen im Interesse der Bevölkerung zu suchen.»[3] In der Gegenwart Bosnien und Herzegowinas nimmt die jüngste, vom blutigen Krieg gekennzeichnete Vergangenheit eine herausragende Stellung ein. Das Leben ist immer noch stark vom Kriegsgeschehen und den Kriegsfolgen geprägt und das Thema der Verantwortung für den Krieg ist aus dem gesellschaftspolitischen Diskurs nicht weg zu denken.[4]

Erst im letzten Jahrzehnt nahm die Modernisierung Sarajevos zu, das Stadtbild musste sich nach dem Krieg verändern. Es entstanden moderne Hochhäuser, neue Einkaufszentren und moderne Architekturen. Vielerorts stehen aber immer noch Wohnungen und Objekte, die noch nicht renoviert wurden und deren Einschusslöcher an den Krieg erinnern. Daran erkennt man, die noch nicht abgeschlossene Vergangenheitsbewältigung. Neben diesen Erinnerungen an den Krieg, die durch zerstörte Objekte etc. repräsentiert werden, erinnern sich die Leute gerne an die Zeit Jugoslawiens. Für viele Menschen war das Leben im damaligen Jugoslawien einfacher und schöner als heute. Unter der Führung des Marschalls Tito beschreiben die Leute Jugoslawien als eine gut und stark funktionierende Republik.

In Sarajevo gibt es ein Tito-Café, welches gut besucht ist sowie eine Rock Bar Johnny, die an die Musik und die Zeit im damaligen Jugoslawien erinnern.

Trotz der beständigen Präsenz der Vergangenheit in vielen Bereichen des Lebens in Bosnien Herzegowina bzw. Sarajevo, gibt es heute wenige Beispiele für eine gesellschaftliche Auseinandersetzung. Die Stadt liegt auf beiden Seiten der bosnischen Entitätengrenze zwischen der Föderation Bosnien und Herzegowina und der Republika Srpska.

Durch diese Teilung gibt es auch im Lehrplan der Schulen in Bosnien Herzegowina Unterschiede. Das Bildungssystem ist dreigeteilt, was zu verschiedenen Lehrplänen in den Regionen führt. Diese Teilung wird oft kritisiert mit dem Argument, dass die Schüler „verschiedene Geschichten“ Jugoslawiens lernen.

Dieses Argument wird auch von einem der wichtigsten zeitgenössischen Autoren Bosnien Herzegowinas Nenad Velickovic unterstützt.

Einzelnachweis

  1. http://ifb.bsz-bw.de/bsz400481553rez-1.pdf;jsessionid=FF33FBA6F700A8D93F01D3A0B29B3DCF?id=6782
  2. http://www.srf.ch/kultur/gesellschaft-religion/sarajevo-gegenbild-einer-nationalen-hauptstadt
  3. http://www.srf.ch/kultur/gesellschaft-religion/sarajevo-gegenbild-einer-nationalen-hauptstadt
  4. http://www.kas.de/wf/doc/kas_9323-544-1-30.pdf?090729102302