Josip Broz Tito

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Josip Broz Tito (1892-1980) war von 1945 bis zu seinem Tod Staatschef Jugoslawiens und Generalsekretär der Kommunistischen Partei Jugoslawiens (KPJ), nach 1952 Bund der Kommunisten Jugoslaweins (BdKJ) genannt. Ab 1941 organisierte Tito den Widerstand der kommunistischen Partisanen im «Volksbefreiungskrieg» gegen die Besatzungsmächte. Am 29. November 1943, noch während dem Befreiungskrieg, ist Tito als Anführer der 2. Versammlung des Antifaschistischen Rates der Nationalen Befreiung Jugoslawiens (AVNOJ) in Jajce massgeblich an der Gründung des neuen, sozialistischen Staates beteiligt. Nach dem Bruch mit der Sowjetunion 1948 wurde Tito zum Wegbereiter eines eigenen, «Dritten Weges». Als angesehener Staatsmann war er einer der Mitbegründer und Führungsfiguren der «Bewegung der Blockfreien Staaten».Titos Herrschaftsstil zeichnete sich durch grosse Volksnähe und einem aufwändig betriebenen Personenkult aus. Heute ist die Bedeutung Titos umstritten und ist sowohl positiv als auch negativ konnotiert in den postjugoslawischen Staaten.


Leben

Josip Broz wurde am 7. Mai 1882, im damals österreichisch-ungarischen Kumrovec, geboren. Bereits während seiner Ausbildung zum Schlosser in Sisak kam er erstmals mit sozialdemokratischen Ideen in Kontakt.[1] Der Soldat Josip Broz geriet im Verlauf des Ersten Weltkrieges, in der österreichisch-ungarischen Armee dienend, in russische Kriegsgefangenschaft. 1917 erlebte er dort die Oktoberrevolution. Anfang der 30er Jahre war Josip Broz bei der Komintern in Moskau tätig. 1934 wurde er Mitglied des Politbüros der KPJ, woraufhin er wenig später das Pseudonym «Tito» annahm und in den Untergrund abtauche, da die Partei als illegal galt. Wenig später etablierte er sich als Anführer der KPJ.[2] Nach der Besetzung Jugoslawiens 1941 durch die Achsenmächte, organisierte Tito den bewaffneten Widerstand gegen die Besatzer. Dieser Aufstand sollte nicht nur zur Befreiung Jugoslawiens dienen, sondern gleichzeitig zu einer kommunistischen Revolution führen.[3] Titos Partisanen kämpften sowohl gegen die Besatzungsmächte als auch gegen die Gegner des sozialistischen Gedankengutes im eigenen Land. Die 2. Versammlung des AVNOJ in Jaice galt als weiterer Schritt, welche die staatliche Organisation Jugoslawiens nach dem Krieg festlegen sollte. 1944 gewann die Sowjetunion die Oberhand im Kampf um die Balkanhalbinsel, so dass Titos Partisanen gemeinsam mit der Roten Armee am 23.10.1944 Belgrad befreien konnten. Kurz daraufhin wurde das restliche Jugoslawien befreit. Als Tito die Befreiung des Landes gleichzeitig zu einer kommunistischen Revolution nutzen konnten, war dies der erste erfolgreiche kommunistische Umsturz nach der Russischen Revolution. Dadurch genoss Tito grosse Beliebtheit bei vielen linken Parteien auf der Welt. 1948 zeichnete sich der Bruch mit Stalin und der Sowjetunion ab. Dieser Bruch ist zugleich die Geburtsstunde des eigentlichen Titoismus, als Gegenmodell zur damaligen Herrschaftspraxis unter dem Stalinismus.[4] Einem eigenen, jugoslawischen Weg folgend, wurde Tito zu einem der Mitbegründer der Bewegung Blockfreien Staaten. Josip Broz musste wegen einer starken Thrombose im linken Bein in ein Krankenhaus nach Ljubljana, wo er nach monatenlanger Krankheit am 4. Mai 1980 verstarb.[5] Nach seinem Tod brach das ethnisch vielfältige Jugoslawien in den 90er Jahren unter dem wachsenden Nationalismus der einzelnen Teilrepubliken zusammen.


Herrschaftsstil

Einer der ersten Neuerungen des Staates unter Tito war die neue Nationalitätenpolitik unter dem Motto: «Brüderlichkeit und Einheit».[6] Um die Informationsverbreitung kontrollieren zu können, wurden die Massenmedien unmittelbar nach dem Krieg auf Parteilinie gebracht.[7] Ein wichtiger Schritt um die Beeinflussung der Massen effektiver gestalten zu können war die Durchführung von grossangelegten Alphabetisierungskampagnen. Auch wenn die Medien zunächst strenger Zensur unterstanden, hielt Tito an einer kulturellen Liberalisierung fest und liess diverse, westliche Autoren ins Serbokroatische übersetzen. Zumindest nominell herrschte ab den 60er Jahren Pressefreiheit. Kritik an Titos Person war jedoch weiterhin tabu.[8] Die Stilisierung Titos als Vaterfigur, welcher zum «Lehrer der jugoslawischen Völker»[9] avancierte, war ein charakteristisches Merkmal für seine Herrschaftszeit und stimmte mit den patriarchischen Traditionen überein. Tito beantwortete beispielsweise gerade in der Anfangszeit seiner Herrschaft persönliche Briefe und liess materielle Hilfe zukommen in Einzelfällen.[10] Weiter übernahm er ebenfalls zahlreiche Patenschaften für Familien, welche vor allem aus dem bäuerlichen Milieu stammten. Die Volksnähe, welche seine Herrschaft charakterisierte, wird durch seine zahlreichen Besuche in verschiedenen Städten Jugoslawiens untermauert. Wirtschaftlich ging Tito einen eigenen, sogenannt «Dritten Weg», indem er gewillt war, das Land zwischen Kapitalismus und Realsozialismus zu führen. Dieser Selbstverwaltungssozialismus stützt sich nicht auf das Staatseigentum, wie beispielsweise in der Sowjetunion, sondern auf das gesellschaftliche Eigentum. Teil des Systems war die Arbeiterselbstverwaltung, wodurch die Arbeiter Einfluss auf die Unternehmensführung nehmen konnten. In diesem System sollte die Ausbeutung der Arbeiter durch Kapitalisten und Staat verhindert werden.[11]


Erinnerungen an Tito

Die Erinnerung an Tito ist in den postjugoslawischen Staaten äusserst vielfältig und kann nicht auf einen gemeinsamen Nenner gebracht werden. Im Dokumentarfilm «Tito, zum zweiten Mal unter den Serben» («Tito po drugi put među Srbima»), welcher 1993 während des Bosnienkrieges gedreht wurde, zeigt das Phänomen der Tito Nostalgie. Als ein Schauspieler als Tito verkleidet durch die Strassen Belgrads schreitet, wird er von Passanten angesprochen als sei er Tito selbst. Die Passanten haben unterschiedlichste Erinnerungen an Jugoslawien und Tito: Einige klagen über die aktuellen Zustände und zeigen sich verbittert über den Krieg, andere beten ihn zurückzukehren. Zahlreiche Tito T-Shirts, Schlüsselanhänger und andere Souvenirs zeugen heute von einer aufblühenden Tito Nostalgie. Das er weiterhin eine polarisierende Figur ist in der postjugoslawischen Zeit beweiste die mazedonische TV Sendung «Das bin Ich» («To sam ja») aus 2004, welche grosse Beliebtheit genoss. Darin spielten je eine Frau und ein Mann aus den ehemaligen Teilrepubliken Jugoslawiens in einer Reality-Sendung mit. Als die Sendung begann jugoslawische Symbolik miteinzubauen, beispielsweise Portrais von Tito und ein roter Stern, wurde sie prompt in Bosnien und Herzegowina, Kroatien und Slowenien nicht mehr ausgestrahlt.[12] Tito steht heute oft auch für Antiliberalismus und Totalitarismus und symbolisiert somit als Vaterfigur auf der anderen Seite gegensätzliche Wertesysteme.[13]


Anmerkungen

  1. Swain, Geoffrey: Tito. A Biography. London, 2011, S. 6.
  2. Ebd., S. 20
  3. Ebd., S. 29-30
  4. West, Richard: Tito and the Rise and Fall of Yugoslavia. London, 1994, S. 242-243.
  5. Ridley, Jaspar: Tito. S. 414-415.
  6. Höpken, Wolfgang: Umkämpfte Vergangenheit. Göttingen, 1999, S. 214.
  7. Halder, Marc: Der Titokult. Charismatische Herrschaft im sozialistischen Jugoslawien. München, 2013, S. 137.
  8. Ebd., S. 140-142.
  9. Höpken, Wolfgang: Umkämpfte Vergangenheit. S. 218.
  10. Halder, Marc: Der Titokult. S. 158-159.
  11. Brkić, Željko: Ökonomische Ursachen des Zerfalls Jugoslawiens und der Transformationsprozess in Kroatien 1990-2000. Trier, 2001, S.13-16.
  12. Lindstrom, Nicole: Yugonostalgia: Restorative and Reflective Nostalgia in Former Yugoslavia. East Central Europe = L'Europe du centre-est, Vol. 32, 2005, S. 227 -237, hier: 227-228.
  13. Kuljić, Todor: Umkämpfte Vergangenheiten. Die Kultur der Erinnerung im postjugoslawischen Raum. Berlin, 2010, S. 146.

Bibliografie

Brkić, Željko: Ökonomische Ursachen des Zerfalls Jugoslawiens und der Transformationsprozess in Kroatien 1990-2000. Trier, 2001.

Halder, Marc: Der Titokult. Charismatische Herrschaft im sozialistischen Jugoslawien. München, 2013.

Höpken, Wolfgang: Umkämpfte Vergangenheit. Göttingen, 1999.

Kuljić, Todor: Umkämpfte Vergangenheiten. Die Kultur der Erinnerung im postjugoslawischen Raum. Berlin, 2010.

Lindstrom, Nicole: Yugonostalgia: Restorative and Reflective Nostalgia in Former Yugoslavia. East Central Europe = L'Europe du centre-est, Vol. 32, 2005, S. 227 -237.

Ridley, Jaspar: Tito. London, 1994.

Swain, Geoffrey: Tito. A Biography. London, 2011.

West, Richard: Tito and the Rise and Fall of Yugoslavia. London, 1994.