Brüderlichkeit und Einheit: Unterschied zwischen den Versionen

Aus Looking for YU
Wechseln zu: Navigation, Suche
Zeile 1: Zeile 1:
 
''Text: MK'' <br />
 
''Text: MK'' <br />
  
'''«Brüderlichkeit und Einheit»''' oder '''«Brüderlichkeit und Einigkeit»''' (''bratvstvo i jedinstvo'') war der Grundsatz der Nationalitätenpolitik der [[KPJ|Kommunistischen Partei Jugoslawiens]] (KPJ).<ref>Höpken, Wolfgang: Vergangenheitspolitik im sozialistischen Vielvölkerstaat: Jugoslawien 1944 bis 1991. In: Bock, Petra/Wolfrum, Edgar (Hrsg.): Umkämpfte Vergangenheit: Geschichtsbilder, Erinnerung und Vergangenheitspolitik im internationalen Vergleich. Göttingen : Vandenhoeck & Ruprecht, 1999. S. 210-243. S. S. 214f.</ref> Das im Zweiten Weltkrieg geschmiedete Syntagma trat in die Rhetorik der KPJ ein und wurde als sozialistische Solidarisierungsformel verstanden.<ref>Dutoit, Jan. Previšić, Boris. Zwischen Stammesdenken und internationaler Solidarität. Bratstvo im Ersten und Zweiten Jugoslawien. In: Zimmermann, Tanja (Hrsg.). Brüderlichkeit und Bruderzwist: Mediale Inszenierungen des Aufbaus und des Niedergangs politischer Gemeinschaften in Ost- und Südosteuropa. Göttingen: V&R unipress, 2014. S. 93.</ref> Die Redeweise «Brüderlichkeit und Einheit» verbreitete und etablierte sich während des [[Die Sozialistische Föderative Republik Jugoslawien|SFRJ]] und wurde zu einem wichtigen Bestandteil der Erinnerungskultur rund um den Gründungsmythos des sozialistischen  Jugoslawiens.  
+
'''«Brüderlichkeit und Einheit»''' oder '''«Brüderlichkeit und Einigkeit»''' (''bratvstvo i jedinstvo'') war der Grundsatz der Nationalitätenpolitik der [[KPJ|Kommunistischen Partei Jugoslawiens]] (KPJ).<ref>Höpken, Wolfgang: Vergangenheitspolitik im sozialistischen Vielvölkerstaat: Jugoslawien 1944 bis 1991. In: Bock, Petra/Wolfrum, Edgar (Hrsg.): Umkämpfte Vergangenheit: Geschichtsbilder, Erinnerung und Vergangenheitspolitik im internationalen Vergleich. Göttingen : Vandenhoeck & Ruprecht, 1999. S. 210-243. S. S. 214f.</ref> Das im Zweiten Weltkrieg geschmiedete Syntagma trat in die Rhetorik der KPJ ein und wurde als sozialistische Solidarisierungsformel verstanden.<ref>Dutoit, Jan. Previšić, Boris. Zwischen Stammesdenken und internationaler Solidarität. Bratstvo im Ersten und Zweiten Jugoslawien. In: Zimmermann, Tanja (Hrsg.). Brüderlichkeit und Bruderzwist: Mediale Inszenierungen des Aufbaus und des Niedergangs politischer Gemeinschaften in Ost- und Südosteuropa. Göttingen: V&R unipress, 2014. S. 93.</ref> Die Losung «Brüderlichkeit und Einheit» verbreitete und etablierte sich während des [[Die Sozialistische Föderative Republik Jugoslawien|SFRJ]] und wurde zu einem wichtigen Bestandteil der Erinnerungskultur rund um den Gründungsmythos des sozialistischen  Jugoslawiens.  
 
==Entstehung und Bedeutungswandel==
 
==Entstehung und Bedeutungswandel==
 
Das Wort «bratstvo» entstand als Bezeichnung für eine Untereinheit eines Stammes und ist je nach Kontext und Zeit als «Clan», «Bruderschaft» oder «Brüderlichkeit».<ref>Dutoit. Previšić, 2014. S. 73f.</ref>  Im Königreich Jugoslawien (1918-1941) war das Syntagma «bratstvo i jedinstvo» noch nicht gebräuchlich. Die Rhetorik der «Brüderlichkeit» wurde mit der Familien- und Brudermetaphorik in Verbindung gesetzt. Gemeinsamkeiten unter den Serben, Kroaten und Slowenen wurden stärker betont als Unterschiede. Im damaligen staatlichen Komitee betonte den nationalen Unitarismus der jugoslawischen Nation mit der Vereinheitlichung der drei Stämme. Dass Serben, Kroaten und Slowenen «ein und dasselbe dreinamige Volk»<ref>Dutoit. Previšić, 2014. S. 79.</ref> seien, liess sich aber nicht verankern.  
 
Das Wort «bratstvo» entstand als Bezeichnung für eine Untereinheit eines Stammes und ist je nach Kontext und Zeit als «Clan», «Bruderschaft» oder «Brüderlichkeit».<ref>Dutoit. Previšić, 2014. S. 73f.</ref>  Im Königreich Jugoslawien (1918-1941) war das Syntagma «bratstvo i jedinstvo» noch nicht gebräuchlich. Die Rhetorik der «Brüderlichkeit» wurde mit der Familien- und Brudermetaphorik in Verbindung gesetzt. Gemeinsamkeiten unter den Serben, Kroaten und Slowenen wurden stärker betont als Unterschiede. Im damaligen staatlichen Komitee betonte den nationalen Unitarismus der jugoslawischen Nation mit der Vereinheitlichung der drei Stämme. Dass Serben, Kroaten und Slowenen «ein und dasselbe dreinamige Volk»<ref>Dutoit. Previšić, 2014. S. 79.</ref> seien, liess sich aber nicht verankern.  

Version vom 27. November 2014, 00:40 Uhr

Text: MK

«Brüderlichkeit und Einheit» oder «Brüderlichkeit und Einigkeit» (bratvstvo i jedinstvo) war der Grundsatz der Nationalitätenpolitik der Kommunistischen Partei Jugoslawiens (KPJ).[1] Das im Zweiten Weltkrieg geschmiedete Syntagma trat in die Rhetorik der KPJ ein und wurde als sozialistische Solidarisierungsformel verstanden.[2] Die Losung «Brüderlichkeit und Einheit» verbreitete und etablierte sich während des SFRJ und wurde zu einem wichtigen Bestandteil der Erinnerungskultur rund um den Gründungsmythos des sozialistischen Jugoslawiens.

Entstehung und Bedeutungswandel

Das Wort «bratstvo» entstand als Bezeichnung für eine Untereinheit eines Stammes und ist je nach Kontext und Zeit als «Clan», «Bruderschaft» oder «Brüderlichkeit».[3] Im Königreich Jugoslawien (1918-1941) war das Syntagma «bratstvo i jedinstvo» noch nicht gebräuchlich. Die Rhetorik der «Brüderlichkeit» wurde mit der Familien- und Brudermetaphorik in Verbindung gesetzt. Gemeinsamkeiten unter den Serben, Kroaten und Slowenen wurden stärker betont als Unterschiede. Im damaligen staatlichen Komitee betonte den nationalen Unitarismus der jugoslawischen Nation mit der Vereinheitlichung der drei Stämme. Dass Serben, Kroaten und Slowenen «ein und dasselbe dreinamige Volk»[4] seien, liess sich aber nicht verankern.

Ab den 1930er Jahren kam es langsam zu einer Annäherung an die bekannte Parole. Zahlreiche unterschiedliche, aber auch ähnliche Formulierungen deuten auf eine lange Suche hin. «Bratstvo i jedinstvo» war stark mit der weniger spezifischen jugoslawische Parole «Tod dem Faschismus - Freiheit dem Volk» (smrt fašizmu – sloboda narodu) verbunden und galt ebenfalls als Gegenthese zum Faschismus. Eine enge Verbindung des Slogans wird mit der Josip Broz Tito und dem Partisanenkrieg, als dessen Errungenschaft «Brüderlichkeit und Einheit», angepriesen. Der Slogan diente bis zum Bruch mit Stalin 1948 auch als Loyalitätsbekundung mit der Sowjetunion und den gemeinsamen Kampf gegen den Faschismus. Darüber hinaus herrschte eine Verhaltenserwartung der KPJ, die sich an die Bevölkerung und die Systemloyalität und –konformität richtete.[5]

Die sozialistische Solidarisierungsformel war im 2. Jugoslawien allgegenwärtig: Tito etwa benutze die Phrase «Hütet die Brüderlichkeit und Einheit wie euren Augapfel» bei jedem seiner öffentlichen Auftritte. Durch die Allgegenwärtigkeit des Slogans verkam die Brüderlichkeitsrhetorik allmählich zu einer abgegriffenen Redewendung. Die häufige Verwendung durch serbische Nationalisten in der zweiten Hälfte der 1980er Jahre, wertete ausserdem diese Phrase ab. Das Syntagma «Brüderlichkeit und Einheit» wurde auch als Nationalitätenpolitisches Credo, offizielle Integrationsideologie, politisch-ideologische Parole oder als Erinnerungstopos verstanden.[6]

Anmerkungen

  1. Höpken, Wolfgang: Vergangenheitspolitik im sozialistischen Vielvölkerstaat: Jugoslawien 1944 bis 1991. In: Bock, Petra/Wolfrum, Edgar (Hrsg.): Umkämpfte Vergangenheit: Geschichtsbilder, Erinnerung und Vergangenheitspolitik im internationalen Vergleich. Göttingen : Vandenhoeck & Ruprecht, 1999. S. 210-243. S. S. 214f.
  2. Dutoit, Jan. Previšić, Boris. Zwischen Stammesdenken und internationaler Solidarität. Bratstvo im Ersten und Zweiten Jugoslawien. In: Zimmermann, Tanja (Hrsg.). Brüderlichkeit und Bruderzwist: Mediale Inszenierungen des Aufbaus und des Niedergangs politischer Gemeinschaften in Ost- und Südosteuropa. Göttingen: V&R unipress, 2014. S. 93.
  3. Dutoit. Previšić, 2014. S. 73f.
  4. Dutoit. Previšić, 2014. S. 79.
  5. Höpken, 1999. S. 214f.
  6. Höpken, 1999. S. 220ff.

Literaturliste (Auswahl)

  • Höpken, Wolfgang: Vergangenheitspolitik im sozialistischen Vielvölkerstaat: Jugoslawien 1944 bis 1991. In: Bock, Petra/Wolfrum, Edgar (Hrsg.): Umkämpfte Vergangenheit: Geschichtsbilder, Erinnerung und Vergangenheitspolitik im internationalen Vergleich. Göttingen : Vandenhoeck & Ruprecht, 1999. S. 210-243.
  • Dutoit, Jan. Previšić, Boris. Zwischen Stammesdenken und internationaler Solidarität. Bratstvo im Ersten und Zweiten Jugoslawien. In: Zimmermann, Tanja (Hrsg.). Brüderlichkeit und Bruderzwist: Mediale Inszenierungen des Aufbaus und des Niedergangs politischer Gemeinschaften in Ost- und Südosteuropa. Göttingen: V&R unipress, 2014. S. 73-97.