Brüderlichkeit und Einheit

Aus Looking for YU
Wechseln zu: Navigation, Suche

«Brüderlichkeit und Einheit» oder «Brüderlichkeit und Einigkeit» (bratvstvo i jedinstvo) war der Grundsatz der Nationalitätenpolitik der Kommunistischen Partei Jugoslawiens (KPJ).[1] Das Syntagma wurde als sozialistische Solidarisierungsformel verstanden, welche im Zweiten Weltkrieg geschmiedet wurde[2] und ab diesem Zeitpunkt in die Rhetorik des KPJ’s Einzug hielt. Die Redeweise «Brüderlichkeit und Einheit» verbreitete und etablierte sich während des SFRJ und wurde zu einem wichtigen Bestandteil der Erinnerungskultur rund um den Gründungsmythos des 2. Jugoslawiens.

Entstehung und Bedeutungswandel

Das Wort «bratvsto» entstand als Bezeichnung für eine Untereinheit eines Stammes und wurde je nach Kontext und Zeit als «Clan», «Bruderschaft» oder «Brüderlichkeit» benutzt. Im Zwischenkriegsjugoslawien war das Syntagma «bratstvo i jedinstvo» noch nicht gebräuchlich. Die Rhetorik der «Brüderlichkeit» wurde mit der Familien- und Brudermetaphorik in Verbindung gesetzt. Gemeinsames der Serben, Kroaten und Slowenen wurde stärker betont als Trennendes. Das Jugoslawische Komitee betonte den nationalen Unitarismus der jugoslawischen Nation mit der Vereinheitlichung der drei Stämme. Dass Serben, Kroaten und Slowenen «ein und dasselbe dreinamige Volk» sei, liess sich aber nicht verankern.

Ab den 1930er Jahren kam es langsam zu einer Annäherung an die bekannte Parole. Zahlreiche unterschiedliche, aber auch ähnliche Formulierungen deuten auf eine lange Suche hin. «Bratstvo i jedinstvo» war stark mit der weniger spezifischen jugoslawische Parole «Tod dem Faschismus - Freiheit dem Volk» (Smrt fašizmu) verbunden und galt ebenfalls als Gegenthese zum Faschismus. Eine enge Verbindung des Slogans wird mit der Person Tito und dem Partisanenkrieg, als dessen Errungenschaft «Brüderlichkeit und Einheit» angepriesen. Der Slogan diente bis zum Bruch mit Stalin 1948 als Loyalität Bekundung mit der Sowjetunion und den gemeinsamen Kampf gegen den Faschismus. Darüber hinaus stand eine Verhaltenserwartung der KPJ an die Bevölkerung der Systemloyalität und –konformität.

Die sozialistische Solidarisierungsformel war im dritten Jugoslawien allgegenwärtig: Tito etwa benutze die Phrase «Hütet die Brüderlichkeit und Einheit wie euren Augapfel«, bei jedem seiner öffentlichen Auftritte. Durch die Allgegenwärtigkeit des Slogans verkam die Brüderlichkeitsrhetorik allmählich zu einer abgegriffenen Redewendung. Ausserdem bewirkte die von serbischen Nationalisten in der zweiten Hälfte der 1980er Jahre Benutzung eine Abwertung. Das Syntagma «Brüderlichkeit und Einheit» wird auch als Nationalitätenpolitisches Credo, offizielle Integrationsideologie, politisch-ideologische Parole oder als Erinnerungstopos verstanden.[3]

Anmerkungen

  1. Höpken, Wolfgang: Vergangenheitspolitik im sozialistischen Vielvölkerstaat: Jugoslawien 1944 bis 1991. In: Bock, Petra/Wolfrum, Edgar (Hrsg.): Umkämpfte Vergangenheit: Geschichtsbilder, Erinnerung und Vergangenheitspolitik im internationalen Vergleich. Göttingen : Vandenhoeck & Ruprecht, 1999. S. 210-243. S. S. 214f.
  2. Dutoit, Jan. Previšić, Boris. Zwischen Stammesdenken und internationaler Solidarität. Bratstvo im Ersten und Zweiten Jugoslawien. In: Zimmermann, Tanja (Hrsg.). Brüderlichkeit und Bruderzwist: Mediale Inszenierungen des Aufbaus und des Niedergangs politischer Gemeinschaften in Ost- und Südosteuropa. Göttingen: V&R unipress, 2014. S. 73-97.
  3. Höpken, 1999. S. 220ff.

Literaturliste (Auswahl)

  • Höpken, Wolfgang: Vergangenheitspolitik im sozialistischen Vielvölkerstaat: Jugoslawien 1944 bis 1991. In: Bock, Petra/Wolfrum, Edgar (Hrsg.): Umkämpfte Vergangenheit: Geschichtsbilder, Erinnerung und Vergangenheitspolitik im internationalen Vergleich. Göttingen : Vandenhoeck & Ruprecht, 1999. S. 210-243.
  • Dutoit, Jan. Previšić, Boris. Zwischen Stammesdenken und internationaler Solidarität. Bratstvo im Ersten und Zweiten Jugoslawien. In: Zimmermann, Tanja (Hrsg.). Brüderlichkeit und Bruderzwist: Mediale Inszenierungen des Aufbaus und des Niedergangs politischer Gemeinschaften in Ost- und Südosteuropa. Göttingen: V&R unipress, 2014. S. 73-97.